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Archivalie des Monats Juni 2016: Einkehr bei Cord Wübbe

Als der 1849 in Fallingbostel geborene Friedrich Freudenthal als Sechzehnjähriger als Freiwilliger in die Hannoversche Armee eintreten wollte, begleitete ihn sein Vater aus Fintel, wo Friedrich seit 1851 bei seinen Großeltern aufgewachsen war und wohin die Eltern um 1862 gezogen waren, nach Lüneburg. Die erste „Etappe" wird von Fintel aus zu Fuß nach Harburg zurückgelegt, denn erst dort war es möglich, per Bahn weiterzureisen – die Strecke Bremen-Hamburg war seinerzeit erst vermessen, aber noch nicht im Bau begriffen. Unterwegs wurde Einkehr bei Cord Wübbe gehalten, dem Nachbarn des Vaters aus seiner Fallingbosteler Zeit.

In den 1894 unter dem Titel „Von Lüneburg bis Langensalza" anonym erschienenen „Erinnerungen eines hannoverschen Infanteristen" schildert Friedrich Freudenthal die Rast im Hause von Cord Wübbe. Natürlich wird die Gelegenheit nicht ungenutzt gelassen, sich an humorvolle Ereignisse in Fallingbostel zu erinnern. Erzählt wird selbstverständlich, wie es sich für echte Heidjer gehört, auf Plattdeutsch. Die Wiedergabe des betreffenden Abschnitts aus Freudenthals Erinnerungen folgt der zweiten, ergänzten und vermehrten Auflage aus dem Jahr 1895:

Scan des Abschnitts "Einkehr bei Cord Wübbe" aus Freudenthals Erinnerungen "Von Lüneburg bis Langensalza"



Einkehr bei Cord Wübbe

Es war um die Mittagszeit, als wir in einem Föhrenwäldchen hart an der Straße ein Häuschen auftauchen sahen, das uns mit seinem rothen Ziegeldach und seinen blinkenden Fenstern recht einladend grüßte. Es wohnte dort ein Wegbau-Aufseher, welcher meinem Vater von früher her befreundet war. Da es nun in unserm Reiseplane vorgesehen war, daß wir diesem guten Manne einen flüchtigen Besuch abstatten wollten, so unterbrachen wir hier unsere Wanderung.

Cord Wübbe - so hieß unser Freund - war daheim und hieß uns herzlich willkommen. Er war soeben von einer längeren Aufsichtstour zurückgekehrt und stand im Begriff einen Imbiß einzunehmen. Selbstverständlich wurden wir zum Mitessen eingeladen. Bevor wir uns jedoch am Tische niederließen, wandte unser Wirth sich zu einem Eckschränkchen und holte eine dickbauchige Flasche von grünem Glase daraus hervor. Wie er uns in umständlicher Weise erklärte, enthielt die Flasche einen „Bittern", den er selber unter Benutzung von „negenerlei Krütern" zusammen destilliert hatte. Es befanden sich darunter, soviel ich mich entsinne, als hauptsächlichste Bestandtheile Heidecker, Johanniskraut, Wermuth, Kalmus, Enzian, Thymian und Hopfenblüthen. Nach Freund Wübbe’s bestimmter Versicherung, war dieser Trank das beste Mittel um einen „schiefsitzenden" Magen wieder in die rechte Verfassung zu bringen. Er füllte ein großes blaurandiges Schnapsglas mit diesem Zaubertrank und wir mußten ihm Bescheid thun. Obschon ich in Rücksicht auf meine Jugend zu einer halben Ration begnadigt wurde, so spürte ich den bitteren Geschmack der „neunerlei Kräuter" dennoch fast neun Stunden lang nachher auf der Zunge.

Beim Frühstückstisch nahm das Gespräch zwischen meinem Vater und dessen Freund bald eine humoristische Färbung an. Sie hatten in F...[Fallingbostel], einem freundlichen Kirchdorfe und Amtssitz, Jahrelang als Nachbarn Haus an Haus gewohnt und stets gute Freundschaft gehalten. Die Erinnerung an fröhlich verlebte Tage wurde nun wieder einmal gründlich aufgefrischt und manches scherzhafte Ereigniß wurde erzählt und besprochen.

„Weeßt woll noch," so begann unter anderem im Laufe des Gesprächs Freund Wübbe, sich an meinen Vater wendend, „as wi achtunveertig in’n Eekhagen dat groote Volksfest fier’n un Pastor M. ut W... en Red’ holen dä? – Wer trug die Schuld daran, daß die Römer unser Vaterland ungestraft unterjochen durften? so fung de Pastor sien Red' an un dabi keek he jümmer den Küper Johann Stöckmann, de en Koppsläng öwer all de annern Tohörers wegrecken dä, int Gesicht – Wer war Schuld an jener schmachvollen Erniedrigung? frage ich – –"

„Se brukt mi nich jümmer so verdächtig antokieken, Herr Pastor," röp up enmal Jan Stöckmann, – „ick bün’r nich mit bi wesen!" – „Ja, de ole Schelm! de ole Stöckmann!" sagte mein
Vater und lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten. – „Kennst Du den Spaß, den he mal mit Pastor W. hatt hett? De Pastor hollt dat enes Dages för sien Plicht Stöckmanns Johann wegen sien Supen to vermahnen. „Herr Pastor," seggt Johann, „ick bin woll en beten sehr tom Drunk geneigt, awer ick kann’t ok laten!" „Good, Meister Stöckmann," seggt de Pastor, „dat freut mi, dat min Word nich vergewens to Ihnen spraken sünd."

Enige Tied danach drippt de Pastor mal mit Johann Stöckmann up en Kinddöp tosamen un dor mutt he to sien Verwunnerung sehn, dat min leewe Johann en Glas Grock na’n annem wegpietscht, as wenn dat blot Water wör. „Stöckmann," seggt de Pastor liesen un stött Johann in de Sied, „se hebbt mi doch nülich seggt, Se können et laten!" „Kann ick ok, Herr Pastor," seggt Johann un kloppt sick up sein lange Liew, – „hier is noch Platz, hier kann ick enen ganzen Ammer vull laten!"

Unser gastfreundlicher Wirth hatte inzwischen Lagerbier in Flaschen herbeiholen lassen und füllte die Gläser. „Ja," fuhr er fort und strich sich schmunzelnd den braunen, buschigen Schnurrbart – „un de Geschicht von den „heemlichen Fehler" wat wör dat doch man noch? Dat is recht – Johann harr mal för den Amtsauditer Meyer, de jümmer krank wör, en Badewannen makt, awer de Auditer wör slünig verstorven un harr de Wannen gar nich mehr in Gebruk nehmen könnt. „Wat fang ick mit dat grote Küwen an, Stine?" seggt Johann enes Dages to sien Froo. „Will doch mal na den Assesser Grumbart henn un mal hören, wat de dato seggt." – De Assesser Grumbart wör nämlich an Auditer Meyer sien Stä ’na F... henn versett’t worrn, he wör awer nich beleewt, wiel he de Lüd, de wat up’n Amt to dohn harrn, jümmer so groff anhalen dä. – „Herr Assesser," seggt Stöckmanns Johann to den Assesser Grumbart, „ick bin darüm her, ick woll Se mal fragen, ob Se nich villicht enen heemlichen Fehler an sick harrn!" „Was!" begehrt de Assesser up, „was soll das heißen!? Wie können Sie sich unterstehen, hier solche impertinente Reden zu führen!" „Se verstaht mi nich, Herr Assesser," seggt Stöckmanns Johann, „Se möt nämlich weten: ick hev för Ihren Vorgänger Meyer en Küwen makt tom Baden von fiet Foot Läng, he is mi awer leider to fröh storwen, un nu dach ick, wenn mi dat glück, dat Se of enen heemlichen Fehler an Ihren Körper harrn, denn harrn Se dat Küwen ja man gliek mit öwernehmen könnt – ick würr et Ihnen to’n halven Pries laten." – –

Bei solch’ erheiterndem Zwiegespräch waren rasch einige Stunden vergangen und es wurde Zeit, daß mein Vater und ich uns wieder auf den Weg machten. Bevor wir das Heim unseres freundlichen Gastgebers verließen, wurde selbstverständlich noch das Vorhaben besprochen, welches uns zu unserer Reise veranlaßt hatte. Cord Wübbe, der in seiner Jugend in Hannover bei der Artillerie gedient hatte, ließ es sich nicht nehmen, mir allerlei nützliche Winke und Fingerzeige zu ertheilen. An der Gartenpforte verabschiedeten wir uns von unserm liebenswürdigen Wirth und wanderten dann in der Richtung auf Harburg weiter.