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Archivalie des Monats September 2019: Aus Wachtürmen wurden freundliche Pfadfinderheime

Siebzig Jahre ist es her, dass die „Walsroder Zeitung“ am 3. November 1949 über die neuen vier Pfadfinderheime auf dem Fallingbosteler Rooksberg berichten konnte. Der britische Kreis Resident Officer Lt. Col. Alan Douglas Seddon, dem aus seinem Heimatland die auf Robert Baden Powell zurückgehenden Boy Scouts bekannt waren und der sich für die Pfadfinderbewegung auch in Deutschland einsetze, nahm wie Oberkreisdirektor Knoke, Vertreter der Stadt und zahlreiche Gäste an der Einweihung teil. Angestoßen wurde dies Projekt von Heinz Heyder, der sich über den Kreis Fallingbostel hinaus um das Pfadfinderwesen verdient machte.

Vier Jahre nach Kriegsende waren Improvisationstalent und gute Kontakte zu den entscheidenden Personen gefragt, um ein solches Vorhaben in die Tat umsetzen zu können. Heinz Heyder verfügte über beide Eigenschaften, so dass es ihm gelang, acht Meter hohe graue Wachtürme des im Juni 1949 aufgelösten britischen Internierungs- und Umerziehungslagers CIC No. 3 in Oerbke abreißen zu können, um nun, wie es Dr. Stage als Vorsitzender des Elternbeirats ausdrückte, Stätten der Jugend und eine Heimat der Freiheit schaffen zu können. Aufgestellt und eingerichtet wurden die vier quadratischen Bauten von den jungen Pfadfindern des Fallingbosteler Stammes „Heidmark“ selbst.

 

 

Doch für Heinz Heyder war dies erst der Anfang. Nachdem bereits vom 29. April bis zum 1. Mai 1950 ein Pfadfinder-Landesmark-Thing mit mehr als 300 Teilnehmern in der Fallingbosteler Jugendherberge und im Hof der Heidmark und im März 1951 ein siebentägiger Ausbildungslehrgang der niedersächsischen Untergruppenleiter des Deutschen Pfadfinderbundes in der Jugendherberge stattgefunden hatten, setzte er sich für die Errichtung einer Pfadfinder-Schulungsstätte in Fallingbostel ein. Sie war die erste ihrer Art in der gesamten Bundesrepublik.

 

Allerdings brauchte es Geduld, um dieses ehrgeizige Projekt zu verwirklichen. Anfang 1952 konnte Heyer den Kreis Fallingbostel für seinen Plan interessieren. Der Kreis stellte unter der Bedingung, dass mit der Schulungsstätte ein Zeltlagerplatz geschaffen wird, der von allen Gruppen und Schulen benutzt werden kann, einen ansehnlichen Barbetrag und außerdem Ausrüstungsstücke und sogar die Wirtschaftsbaracke des ehemaligen Kreisjugendlagers Uetzingen, die zuvor vom Reicharbeitsdienst genutzt worden war, zur Verfügung.

 

Vier Monate später war es dann so weit: Die Einweihung von „Jugendheim und Schulungsstätte des Bundes Deutscher Pfadfinder“ am Rooksberg fand im Juni 1952 statt. Das Pfadfindergelände wurde jetzt geprägt durch die große Wirtschaftsbaracke mit dem hellen, freundlichen Tagesraum, der elektrisch ausgestatteten Küche und den Wohnräumen des Lagerleiters. Auch die kleinen Pfadfinderheime erhielten ein neues Gewand. Sie nahmen die Kantine, einen Sanitätsraum und den Dienstraum der Lagerleitung auf. Betont wurde bei der Einweihung, dass das Jugendheim allen Jugendgruppen zur Verfügung stehen sollte, die das gemeinsame Ziel haben, die jungen Menschen zu guten Staatsbürgern zu erziehen.

 

Die weitere Entwicklung schildert Rudolf Klessing anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Schulungsstätte: „Der Schulungsbetrieb wurde schließlich so groß, daß die Anlage nicht mehr ausreichte. Außerdem waren ihre Tage gezählt, weil der Rooksberg Wohngebiet geworden war. Glücklicherweise konnten die Pfadfinder damals weiter unterhalb des Rooksberges ein Privatgrundstück erwerben. Das ideale, baumbestandene Gelände, das sich bis zur Böhme hinzieht, bot auf seinen rund 6600 Quadratmetern nicht nur Platz für ein großes Zeltlager, sondern auch für mehrere massive Gebäude. Da die Herrichtung dieses Geländes die finanzielle Kraft des Fallingbosteler Stammes bei weitem überstieg, verlagerte sich die Trägerschaft mehr und mehr von der örtlichen Ebene auf die Landesmark. Juristischer Träger ist der Verein „Pfadfindergelände Fallingbostel e. V." Vorsitzender des Vereins, dessen Mitglieder aktive und ehemalige aktive Pfadfinderführer aus ganz Niedersachsen sind, ist Herr Heyder. Der Verein hat inzwischen Nutzungsverträge mit dem Stamm „Heidmark", der hier sein Gruppenheim hat, mit der Landesmark Niedersachsen und dem Bezirk Spandau der Stadt Berlin.

 

Es gehörte in den Jahren 1957/1958 für die Pfadfinder viel Wagemut dazu, nicht nur den Platz zu kaufen, sondern auch das erste massive Gebäude zu errichten. Es diente damals als Unterkunft für die Sippen. 1959 wurde das zweite massive Gebäude gebaut, ein Wirtschaftsgebäude, das die Küche, den Verpflegungslagerraum, einen Tagesraum und einen Wohnraum für das Küchenpersonal aufnimmt. In beiden Gebäuden stecken beträchtliche Eigenleistungen, die von den Pfadfindern, allen voran Heinz Heyder, geleistet wurden. Hand in Hand damit ging die Herrichtung des Geländes, das planiert, entwässert und aufgefüllt werden mußte. Daneben entstanden der Zeltplatz und zwei Brücken.

 

Ende 1959 begann sich der Bezirk Spandau, der im Westen ein Kindererholungslager einrichten wollte, für die Anlage zu interessieren. Es kam ein Vertrag zustande, wonach die Berliner das Gelände, die Gebäude und alle Einrichtungen für die Zeit der Berliner Sommerferien nutzen dürfen. 1960 bauten die Berliner ein eigenes Unterkunftsgebäude mit einem Tagesraum, Unterkunftsräumen, sanitären Einrichtungen und Nebenräumen. Bereits im Sommer 1961 verbrachten hier 240 Berliner Kinder ihre Sommerferien. In diesem Jahr waren es sogar 360. Durch den Nutzungsvertrag mit den Berlinern wurden die Pfadfinder zum erstenmal seit Jahren auch ihre drückenden finanziellen Sorgen los. Ein weiterer Vorteil des Vertrages ist, daß sie außerhalb der für Spandau reservierten Sommermonate auch das Gebäude der Berliner benutzen dürfen. Neben der Lehrgangsarbeit – sie umfaßt in Theorie und Praxis die gesamte. Pfadfinderarbeit - ist die Schulungsstätte aber auch Tagungsort für die Landesmark Niedersachsen, für die anderen norddeutschen Landesmarken und selbst für den Bund. Wird die Anlage einmal nicht genutzt, stellen sie die Pfadfinder Schulen und Jugendgruppen für Freizeitaufenthalte zur Verfügung. In den zurückliegenden zehn Jahren haben in der Fallingbosteler Schulungsstätte rund 30 Lehrgänge und über 100 Tagungen stattgefunden. Hier sind mindestens eintausend Pfadfinderführer ausgebildet worden; zur Erholung weilten auf dem Gelände an der Böhme fast 1500 Berliner Kinder.

Die Pfadfinder haben mit ihrer Landesschulungsstätte – sie wird erst in diesen Tagen wieder um einen Anbau erweitert – ein nachahmenswertes Beispiel gegeben. Sie haben bewiesen, daß man auch ohne einen gehörigen Batzen öffentlicher Gelder vieles tun kann, wenn man eigene Arbeit nicht scheut und genügend Wagemut, Initiative und Liebe zur Sache besitzt.“

 

Quelle: Berichte der „Walsroder Zeitung“ vom 3. 11. 1949, 22. 4. 1950, 29. 3. 1951, 19. 2. 1952, 20. 6. 1952 und 24. 11. 1962 aus der Zeitungsausschnittsammlung des Stadtarchivs Bad Fallingbostel.