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Archivalie des Monats April 1945: Die Befreiung der Kriegsgefangenenlager in Oerbke und der Ortschaft Fallingbostel vor 75 Jahren

Die Stadt Bad Fallingbostel und der Gemeindefreie Bezirk Osterheide hatten für den 75. Jahrestag der Befreiung der Kriegsgefangenenlager und der Ortschaften am 16. April eine Gedenkfeier am „Tor der Freiheit" in Oerbke und einen Abendvortrag von Hinrich Baumann geplant. Angesichts der Corona-Pandemie ist dies aber nicht möglich. Hinrich Baumann wird seinen Vortrag zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen. Stattdessen kann jetzt nur ein Auszug aus der „Chronik Fallingbostel 1930-1995" von Wolfgang Brandes das damalige Geschehen zusammenfassen. Auch weitere „Archivalien des Monats" werden sich mit den Ereignissen des Frühjahrs 1945 befassen.

Britische Einheiten rücken auf Fallingbostel vor

 

In Walsrode lagernde britischen Einheiten erhielten den Befehl, am Montag, dem 16. April, über die Böhme-Brücke in Fallingbostel weiter in Richtung Dorfmark-Soltau vorzurücken. Um 5 Uhr früh bereiteten sich die „Royal Hussars" auf den Aufbruch vor. Die Soldaten nahmen ein schnelles Frühstück mit Spiegeleiern, Brot und einem Becher Tee neben den Panzern zu sich. Einige Panzer standen neben einem kleinen Garten, in dem zwei Kirschbäume blühten. Durch die Zweige sah man die anderen Panzer in der Wiesenaue samt den Feuern, auf denen das Frühstück bereitet wurde. „Es war eine merkwürdig schöne Szene und eine herrliche Morgendämmerung, die einen noch herrlicheren Tag versprach", hieß es auf S. 214 der Regimentsgeschichte „Men of Valour. The Third Volume of the History of The 8th King's Royal Irish Hussars 1927-1958", die Olivia FitzRoy 1961 in Liverpool veröffentlichte.

 

Die Briten stellten sich darauf ein, es im Raum Fallingbostel mit Gegenwehr zu tun zu bekommen. Sie vermuteten, dass sie auf ihrem Vormarsch von der 3. und 4. Kompanie des SS-Bataillons 12 aufgehalten werden sollten. Weiter nahmen sie an, dass sich die 13. Kompanie mit ihrem 8-cm-Mörser in Fallingbostel befand. Aufgrund dieser Überschätzung der deutschen Verteidigungsmöglichkeiten operierten die britischen Verbände bei der Einnahme Fallingbostels äußerst vorsichtig. Sie beseitigen Widerstand, wo er sich zeigte, restlos, bevor sie mit der Besetzung fortfuhren.

 

Wie sich die in drei Bataillone aufgeteilten „Hussars" Fallingbostel näherten, wird anhand der Kriegstagebücher der 8th Hussars und der 1/5 Queens, die im britischen Public Record Office – Search Department aufbewahrt werden, geschildert. Kopien davon hat der ehemalige Bezirksvorsteher des Gemeindefreien Bezirks Osterheide und beste Kenner der Geschichte des Truppenübungsplatzes Bergen und der Kriegsgefangenenlager, Hinrich Baumann, dankenswerter Weise dem Stadtarchiv Bad Fallingbostel zugänglich gemacht.

 

Das B-Bataillon erhielt den Befehl, östlich nach Fallingbostel vorzudringen. Ein Beobachtungsflugzeug der Artillerie sollte es bei dieser Aufgabe unterstützen. Das A-Bataillon mit einer Abteilung von Transportern wollte versuchen, die Böhmebrücke zu überqueren und auf den höhergelegenen Partien im Norden Position zu beziehen. Das C-Bataillon hatte den Auftrag zu erfüllen, über Düshorn nach Fallingbostel vorzustoßen. Während es ohne Zwischenfälle die Eisenbahnbrücke erreichte, wurde der vorderste Spähpanzer des B-Bataillons bei der Annäherung an die westlichen Ausläufer Fallingbostels unter Beschuss genommen. Hier hatten Marinesoldaten eine schwache Sicherung errichtet. Die Briten setzten sich zur Wehr und schossen mit ihren Panzerkanonen, Maschinengewehren und Leuchtspurmunition in den Ort hinein. Der Kampflärm bedeutete für die Marinesoldaten das Signal, die Böhmebrücke zu sprengen.

 

Offensichtlich schlug daraufhin das C-Bataillon der „Hussars" einen südlichen Bogen um den Ort und näherte sich dabei der Autobahntrasse an. Da die Fahrbahndecke noch nicht gegossen und lediglich das Planum hergerichtet war, konnte die Trasse nur von Kettenfahrzeugen passiert werden. Von hier rollten einige Panzer auf den Ort zu. Am Bahnhof kam es zu den nächsten Feuerwechseln. Am Morgen des 16. April warteten die SS-Soldaten gemeinsam mit Angehörigen anderer Verbände immer noch darauf, aus Fallingbostel abzurücken. Güterwagen standen bereit, doch eine Lokomotive fehlte. Am Bahndamm hatten sich etwa 40 Soldaten verschanzt, die auf die anrückenden Briten das Feuer eröffneten. Da sich diese immer noch weit übertriebene Vorstellungen von der Truppenstärke im Ort machten, führten sie keine schnelle Entscheidung herbei, sondern rückten nur langsam vor. Dadurch gewannen die deutschen Soldaten die Möglichkeit, sich in Richtung Soltau aus Fallingbostel zurückzuziehen. Weil die Straßenbrücke im Ort gesprengt war, dürften sie eine der für Spaziergänger angelegten Brücken genutzt haben, um in die Lieth und dann auf die Straße nach Dorfmark zu gelangen. Nur noch einige wenige Heckenschützen blieben in Fallingbostel zurück.

 

Die Befreiung der Kriegsgefangenenlager in Oerbke

 

Währenddessen näherte sich ein Spähtrupp der „Hussars" den Kriegsgefangenenlagern in Oerbke. Captain Pierson berichtete in FitzRoys Regmientsgeschichte über die Vorgänge: Vorsichtig fuhren die Panzer über die sandigen Wege in den Kiefernwäldern. Auch wenn kein Feind zu sehen war, mussten die Briten aufgrund der Erfahrungen der vorhergegangenen Tage damit rechnen, dass aus Hinterhalten mit Panzerfäusten auf sie geschossen würde. Aber an diesem sonnigen Morgen ereigneten sich keine Zwischenfälle. An der Autobahntrasse machten sie halt und erkundeten die Gegend. Vor den Soldaten lag flaches, offenes Land, das am Horizont von einer langen ungleichmäßigen Linie niedriger Gebäude begrenzt wurde. Durch die Ferngläser erkannte die „Hussars", dass die Gebäude hinter einem Stacheldrahtzaun lagen. Eine große Menschenmenge drängte sich an den Zaun.

 

Sobald eine weitere Einheit der „Hussars" zu dem Spähtrupp aufgeschlossen hatte, fuhren die Briten, angeführt von Corporal Spencer, mit hoher Geschwindigkeit auf das Lager zu. Die Gefangenen strömten ihnen durch das Haupttor entgegen. Männer und Frauen scheinbar aller europäischen Nationalitäten umringten die Panzer – die Mehrzahl von ihnen in Zivilkleidung. Eines hatten sie alle gemeinsam: Sie waren glücklich und unbeschreiblich schmutzig. Das erste Stalag mit rund 7.000 Insassen war befreit.

 

Die „Hussars" fragten nach „English soldaten?" Vergeblich hatten sie gehofft, Landsleute in diesem Lager anzutreffen und zu befreien. Ein Gefangener, der etwas Englisch verstand, wurde von Corporal Spencer auf seinen Panzer gezogen, um den Weg zu weisen. Man erreichte eine asphaltierte Straße, die parallel zum Zaun verlief. Die Jubelrufe der Gefangenen begleiteten die „Hussars" die ganze Strecke. Bald waren auch die Lagerhäuser passiert. Der Gefangene auf dem vorausfahrenden Panzer zeigte erregt vorwärts, doch die Briten erblickten nur eine von Bäumen bestandene Querstraße. An der Kreuzung wurde angehalten. Links verlief die Straße unter einer Autobahnbrücke hindurch – der Anblick einer fertiggestellten Brücke für eine nicht vollendete Autobahn wirkte komisch und erinnerte die Soldaten an einen Kindersteinbaukasten. Rechts war nur eine leere Straße zu erkennen.

 

Der Führer ergriff dann Spencer am Arm und machte ihn auf eine khakifarbene Gestalt mit kastanienbraunem Barett aufmerksam, die auf der gegenüberliegenden Seite der Straße durch eine Baumlücke hindurch an einem Stacheldrahtzaun zu sehen war. Der Mann sprang auf und ab. Er schrie aus Leibeskräften, doch wegen der Motorengeräusche der Panzer hatten die Soldaten ihn nicht gehört. Jetzt entdeckten sie auch andere Gestalten am Zaun. Gut hundert Meter weiter befand sich das Haupttor. Als die Panzer dort ankamen, übertönten die Rufe der zusammenströmenden Menschenmenge sogar die Motorengeräusche. Stalag XI B mit etwa 14000 britischen, amerikanischen und anderen Gefangenen der Alliierten war erreicht.

 

Im Lager herrschte unter den Internierten Ordnung und Disziplin, wofür vor allem R. S. M. Lord verantwortlich zeichnete. Der natürlichen Autorität dieses hochgewachsenen britischen Luftwaffenoffiziers folgten die Kriegsgefangenen bereitwillig. Nach der ersten überschwenglichen Freude über die Ankunft der Landsleute vollzog sich der Übergang in die Freiheit wohlgeordnet. In seiner Regimentsgeschichte lässt FitzRoy auf S. 216 den Zeitzeugen Captain Pierson berichten: „Es war eine ruhige Menge, die sich um uns drängte; die Menschen hatten gejubelt und nun, als der Augenblick zum Reden gekommen war, waren sie zu bewegt, um zu sprechen. Sie konnten nur lächeln und einem die Hand drücken, während ihnen Tränen die Wangen herunterrannen. Man selbst konnte nicht sprechen, nur so viele Hände wie möglich schütteln, die sich einem entgegenstreckten, zurücklächeln, versuchen, alles in sich aufzunehmen, und sich wundern. Denn diese Männer sahen nicht wie Gefangene aus; ihre Kampfanzüge waren sauber und gebügelt, ab und an waren die Gürtel und Gamaschen weiß poliert, und die Metallteile glitzerten – sie hätten in einer Stadt oder zu Hause außer Dienst sein können, statt aus einem Lager zu kommen, in dem sie zwischen fünf Wochen und fünf Jahren inhaftiert gewesen waren." Zum guten Eindruck, den dieses Lager hervorrief, trug bei, dass viele Gefangene bei der Invasion in der Normandie, während der Schlacht von Arnheim oder am Rhein in Gefangenschaft geraten und dadurch erst vor relativ kurzer Zeit ins Stalag gekommen waren.

 

Ganz andere Zustände herrschten im Stalag 357, das für Gefangene anderer Nationen bestimmt war. Captain Edward Ardizzone gehörte zu den ersten Truppen, die im Lager eintrafen. Auch seine Erlebnisse gibt FitzRoy in der Regimentsgeschichte auf S. 271 f. wieder: „Als wir am Lagerzaun hielten, umgab uns eine Menge vor Freude fast hysterischer Männer. Sie überrannten uns beinahe, kletterten auf unsere Fahrzeuge, schlugen uns auf den Rücken, schüttelten uns die Hände, bombardierten uns mit Fragen, riefen, lachten und einige weinten sogar. Hier stellte sich im Gegensatz zu dem anderen Lager nicht die Atmosphäre der Disziplin und Gepflegtheit ein. Die Kleidungsstücke, die die meisten Männer trugen, waren unbeschreibbar. Viele trugen Turnschuhe, und einige hatten weder Hüte noch Mützen. Ich möchte damit nicht im entferntesten den Eindruck hervorrufen, dass Moral und Disziplin gesunken waren. Aber diese Männer waren, im Gegensatz zu den anderen, seit langer Zeit Gefangene, einige bereits seit vier oder fünf Jahren, und das zeigten auch ihre Gesichter. Es war eine sehr bewegende und wunderbare Erfahrung. Wie ich sagte, weinten einige Männer, und auch wir selbst waren kurz davor, in Tränen auszubrechen. Der vielleicht traurigste und bewegendste Anblick ergab sich, als wir uns von der Menge lösten und, nachdem man uns mit einem Jubelschrei verabschiedet hatte, davonfuhren. Als wir zurückschauten, sahen wir mehrere hundert Männer sich aus Gewohnheit an den Zaun klammern – eine von der langen Gefangenschaft hervorgerufene Gewohnheit. Sie konnten nicht begreifen, dass sie frei waren."

 

Fallingbostel wird von den Briten besetzt

 

Während in den befreiten Stalags in Oerbke Zigaretten und Zeitungen verteilt wurden, gingen die Auseinandersetzungen in Fallingbostel weiter. Das Kriegstagebuch der „Hussars" verzeichnete um 11.00 Uhr, es sei offensichtlich geworden, dass Fallingbostel zu groß wäre, um von einer motorisierten Kompanie allein gesäubert und besetzt zu werden. Man besaß zwar eine überlegene Feuerstärke, doch die Schützen verloren sich schnell in den Straßen und Häusern. Um die Widerstandsnester ausräumen und den Ort vollständig einnehmen zu können, wurden die in Walsrode lagernden „Queens" um Infanterieunterstützung gebeten.

 

Gemeinsam mit dem B-Bataillon der „Hussars" rückten die „Queens" nach Fallingbostel ein. Bereits um 14.50 Uhr konnte das Kriegstagebuch der „Queens" vermerken, dass sich der Feind aus Fallingbostel zurückgezogen hatte und es deshalb nicht mehr notwendig war, den Angriff wie beabsichtigt weiterzuführen. Der Plan wurde deshalb abgeändert. Um 15.00 Uhr begann eine Kompanie, die Böhme zu überqueren, um der Einheit Feuerschutz zu geben, die sich mit der gesprengten Brücke beschäftigte. Um 15.45 Uhr befand sich die erste Kompanie auf dem gegenüberliegenden Böhmeufer, die zweite Kompanie machte sich bereit, ihr zu folgen. „Bis jetzt keine Gegenwehr", wurde notiert. Es wurde zwar um 18.35 Uhr noch einmal ein deutsches Militärfahrzeug gesichtet, es zog sich aber unverzüglich zurück. Um 21.00 Uhr vermeldete das Kriegstagebuch: „Gutes Vorankommen über die Böhme zu unseren Kompanien nördlich von ihr. Befehl zum frühen Aufbruch am kommenden Morgen."

 

Sobald Fallingbostel in britischer Hand war und keine Gefahr deutscher Gegenangriffe mehr bestand, begannen „Royal Engineers" mit dem Bau einer Behelfsbrücke über die Böhme. Die Arbeiten wurden auch während der Nacht fortgesetzt. Um 5.36 Uhr war die Brücke fertiggestellt. Nun konnten auch Fahrzeuge problemlos Richtung Norden ihren neuen Zielen entgegenrollen. Äußerst zufrieden mit dem am 16. April Erreichten, zeigten sich die „Hussars" und „Queens". Nur sechs Verwundete gab es auf britischer Seite zu beklagen. Dafür war es aber gelungen, nicht nur Fallingbostel, sondern auch die Kriegsgefangenenlager in Oerbke zu befreien.

 

(Auszug aus: Wolfgang Brandes – Chronik Fallingbostel 1930-1995, erhältlich in der Buchhandlung Raufeisen und bei der Stadt Bad Fallingbostel)

 

Hinrich Baumanns Buch „Die Heidmark. Wandel einer Landschaft. Die Geschichte des Truppenübungsplatzes Bergen" informiert auf 640 Seiten mit zahlreichen Fotos, Karten und Dokumenten auch ausführlich über die Kriegsgefangenenlager in Oerbke und Bergen-Belsen. Sein Buch ist zum Preis von 60,- € in der Buchhandlung Raufeisen oder direkt beim

Gemeindefreien Bezirk Osterheide, Gillweg 7, 29683 Oerbke

Tel: 05162/9602-11 Fax: 05162/9602-12

E-Mail: info@osterheide.de

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