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Datum: 01.04.2023

Archivalie des Monats April 2023: Die Firma Karl Reimann (1920-1975) - einst Dorfmarks größter Betrieb

Als 1955 das Buch „Der Regierungsbezirk Lüneburg und seine Wirtschaft“ erschien, präsentierte sich der Dorfmarker Baumeister Karl Reimann stolz auf einer Doppelseite. Damals hätte niemand damit gerechnet, dass Dorfmarks größter Betrieb zwanzig Jahre später Konkurs anmelden musste.

Die Anfänge der Firma Karl Reimann gehen ins Jahr 1920 zurück. Die „Chronik Dorfmark“ (S. 441-442) berichtet, dass Karl Reimanns aus Tellendorf bei Bonstorf in Schlesien stammender Vater 1887 als Wanderbursche nach Westendorf kam. Er fand beim Schmiedemeister Christoph Meyer Arbeit und heiratete später dessen Nichte Marie. Deren Sohn Karl erlernte von 1909 bis 1912 beim Zimmermeister Menke den Beruf des Zimmermanns. Eine eigene Zimmerei gründete er bereits am 1. April 1940.

Da das Geschäft gut lief, konnte Karl Reimann bereits 1924 ein sogenanntes Lokomobil anschaffen, mit dem das Gatter angetrieben werden konnte. Um das Holz aus der Umgebung selbst heranfahren zu können, wurde 1925 ein Pferdegespann gekauft. Der große Aufschwung setzte ein, als die Firma Reimann Baracken für die Soldaten auf dem Truppenübungsplatz baute. Daraus entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Bau von Fertighäusern.

Bild vergrößern: Lagerplatz der Firma Reimann (1955)
Lagerplatz der Firma Reimann (1955)

1945 beschäftigte Karl Reimann rund 250 Mitarbeiter auf dem 14 Morgen großen Betriebsgelände. Hier konnten fast alle anfallenden Arbeiten in werkseigenen Einrichtungen – großes Dampfsägewerk, Hobelwerk, Tischlerei, Schlosserei, Dreherei, Schweißwerkstatt und Elektrowerkstatt – erledigt und Fertighäuser in Serienarbeit hergestellt werden.

Karl Reimann konnte stolz auf das von ihm Geschaffene sein – das spürt man auch in dem Beitrag im Buch „Der Regierungsbezirk Lüneburg und seine Wirtschaft aus dem Jahr 1955. Da heißt es:

Baumeister Karl Reimann, Holzbauwerk, Dorfmark

Nach dem ersten Weltkrieg hat der Baumeister Karl Reimann in Dorfmark, im Herzen der Lüneburger Heide, gleichweit entfernt von den Großstädten Hamburg, Bremen und Hannover, ein namhaftes Holzbauwerk zu errichten begonnen, das im Laufe der Jahre immer mehr vergrößert wurde und heute zu den größten Betrieben dieser Art im niedersächsischen Wirtschaftsraum gehört. Das Besondere dieses Betriebes liegt in seiner vertikalen Gliederung, der Verarbeitung des Rohstoffes Holz vom Rundholz bis zu den an die Verwendungsstelle gebrachten Fertigprodukten.

Vorn Betrieb wird, wenn gewünscht, schon der Holzeinschlag im Walde mit eigenen Kräften übernommen, immer jedoch die Holzabfuhr mit dem eigenen Pferdematerial und Treckern durchgeführt.

In einem modernen Sägewerk mit zwei Gattern und einer Blockbandsäge wird das Rundholz fachgerecht eingeschnitten und – falls erforderlich – in großen Trockenkammern weiter behandelt.

Ein Hobelwerk mit dem modernsten Maschinenpark ermöglicht die Herstellung besten Dielungsmaterials und aller gewünschten Werkstücke mit allen erforderlichen Profilen.

Das Schnittholz wird zum größten Teil in einer eigenen Bautischlerei zu Fenstern, Türen, Treppen und Einbaumöbeln weiter verarbeitet.

In dem angeschlossenen Zimmereibetrieb wird das Kantholz vor allen Dingen im Ingenieurholzbau für Industrie- und andere Großbauvorhaben verwendet.

Weit spannende freitragende Hallenkonstruktionen, besonders für das Luftfahrtwesen, wurden in den letzten Jahren in größeren Serien angefertigt.

Eine moderne Holztränkanlage für die Holzimprägnierung trägt dazu bei, dem Holzbau immer weitere Aufgabengebiete zu erobern.

Daneben hat sich der Betrieb auf die Herstellung von Schnellunterkünften für alle Verwendungszwecke (Soldaten-, Bundesgrenzschutz- und Werkunterkünfte usw.) spezialisiert. – Dem Nachholbedarf an Wohneinheiten wird insofern Rechnung getragen, als der Betrieb in größeren Serien Fertighäuser herstellt, die sich großer Beliebtheit erfreuen und bei verschiedenen Bautesten als die besten ihrer Art abschnitten. Der Fuhrpark mit drei Lastzügen macht das Werk in seinen Dispositionen besonders beweglich. Alle gewünschten Holzkonstruktionen können in ganz Deutschland nach allen anfallenden Baustellen gebracht werden.

Die voll ausgenutzte Kapazität des Werkes beträgt monatlich 2000 Kubikmeter an verarbeitetem Holz.

Da der Betrieb über eine aus der Abfallverwertung gespeiste Energieanlage verfügt, ist er praktisch unabhängig von anderen Energieformen wie Kohle und Elektrizität.

Eine jahrzehntelang treu zum Werk stehende Belegschaft, ein erfahrenes technisches Büro mit versierten Fachkräften, der Fleiß des niedersächsischen Menschen und die Unternehmerinitiative des Betriebsführers ergänzen sich hier in glücklicher Weise zu einem harmonischen Ganzen.

Bild vergrößern: Panorama-Aufnahme des Werksgeländes der Firma Reimann an der Westendorfer Straße (1955)
Panorama-Aufnahme des Werksgeländes der Firma Reimann an der Westendorfer Straße (1955)

Aber die Zeiten wandelten sich. Die Hochzinspolitik und der Auftrags­rückgang für Staatsbauten im sozialen Wohnungsbau machten der Firma schwer zu schaffen. Anderthalb Jahre nachdem Karl Reimann 1973 verstorben war, musste die Firma Konkurs anmelden. Damit war das Ende einer Firma gekommen, die das Leben im Ort mitgeprägt hatte. So war die Sirene, die den Arbeitern die Pause ankündigte, weit in der Umgebung zu hören. Auf den Bauernhöfen hieß es dann: „Reimann het tut, is middach“.

Ausführlich berichtete die „Walsroder Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 20. Januar 1975 über das Schicksal der Firma:

Dorfmarks größter Betrieb unter dem Hammer

60 Beschäftigte wurden arbeitslos

Die Firma Karl Reimann KG Dorfmark gibt es nicht mehr

Die Firma Karl Reimann KG, Baugeschäft, Sägewerk, Fertighäuser, Dorfmarks ehe­mals größten Betrieb, gibt es nicht mehr. Zwei Versteigerungen in der letzten Woche „beerdigten“ eine Firma, die weit über unsere Kreisgrenzen hinaus bekannt und geschätzt war. Der Betrieb, der seine Blütezeit im Krieg und in den Jahren 1948 bis 1966 hatte, der in dieser Zeit an die 200 Ar­beiter beschäftigte, scheiterte an der augenblicklich schwierigen Konjunkturlage, scheiterte an einer, wie man uns sagte, schlechten Auftragslage und einer zu hohen Zinspolitik. Was aus dem Unter­nehmen, das direkt an der B 209 an der Ortsausfahrt liegt, wird, wußte noch keiner. Vielleicht wird einmal gar nichts mehr daran erinnern, daß hier Dorfmarks größter Betrieb stand.

Die Firma wurde am 1. April 1920 von dem Baumeister Karl Reimann gegründet. Zunächst als Holzbaubetrieb, später wurde ein Sägewerk angegliedert. Der Betrieb und das Betriebsgelände wuchsen ständig. 1934 kam zu der Firma noch ein Holz- und Baumaterialienhandel. Karl Reimann dachte immer wirtschaftlich, bezeichnend dafür ist, daß er seinen Betrieb in vertikaler Gliederung errichtete. Er verarbeitete den Rohstoff Holz vom Rundholz zum Endprodukt. Als einer der ersten entwickelte er die Fertigbauweise nach dem Prinzip der alten Niedersachsenhäuser. Die Reimannsche Fertigbauweise setzte sich durch.

Karl Reimann beteiligte sich Ende des Zweiten Weltkriegs an einer Heringsflotte. Mit dem so gewonnenen Kapital gründete er die Niedersächsischen Torfwerke GmbH in Hademstorf. Er erkannte früh die wachsende Parkraumnot in den Großstädten und baute 1954 in Hamburg am Dammtor das erste Parkhochhaus mit einem Hotel, dem ein Restaurant angegliedert war. Er schuf Einstellplätze für 800 Personenkraftwagen, ein Hotel mit 200 Betten, ein Restaurant mit 500 Sitzplätzen und mehreren Sitzungssälen und Konferenzzimmern. Das Unternehmen errichtete in den über 50 Jahren seines Bestehens eine Vielzahl von Bauwerken von Wiesbaden bis nach Flensburg, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, sogar im Ausland. Mehrere Kolonnen waren oft unterwegs. Das Unternehmen hatte in den 50er und weit in die 60er Jahre hinein seine Blütezeit. 200 Beschäf­tigte zählte man in dieser Zeit.

Der Inhaber der Firma hatte sich lange Zeit auch für öffentliche und berufsständische Aufgaben zur Verfügung gestellt. Er war zweimal Bürger­meister des Ortes, er gehörte dem Kreistag an, dem Vorstand der Kreissparkasse und der AOK Walsrode. Ein schwerer Herzinfarkt unterbrach seinen Schaffensdrang, aber bald kehrte er wieder in seine Firma zurück. Karl Reimann erlebte die bitterste Stunde seines Unternehmens nicht mehr, im Alter von 79 Jahren starb er am 16. April 1973.

Mit dem Betrieb ging es schon in diesen Jahren bergab. Die Auftragslage wurde schlechter, die Beschäftigtenzahl entsprechend geringer. Eine zu hohe Zinspolitik und die miserable Lage in der Baukonjunktur, alles das mußte schließlich dazu führen, daß die Firma am 7. Oktober des letzten Jahres den Konkurs anmelden mußte. Verhandlungen mit verschiedenen anderen Firmen in 1973 waren im Sande verlaufen. Es gab keinen anderen Weg mehr. Zum Schluß arbeiteten noch 60 Be­schäftigte bei Reimann, die meisten stempeln jetzt. Sie wissen noch nicht, was mit ihnen wird.

Die Versteigerungen brachten noch einmal Hun­derte von Menschen aus ganz Niedersachsen auf das Betriebsgelände, sie sorgten fast für ein Verkehrschaos auf den umliegenden Straßen. Auch die Einheimischen nutzten diese Tage noch einmal zu einer Besichtigung. Viele, die einmal hier gearbeitet hatten, gingen etwas wehmütig durch die großen Hallen und Schreibstuben. Unter den Hammer ging dann schließlich fast alles, teilweise wurden beacht­liche Summen geboten.

Was aus den Gebäuden und Maschinen wird, weiß man in Dorfmark noch nicht. Die Firma Karl Reimann KG gibt es jedenfalls nicht mehr.

In zwei Versteigerungen kam die Firma unter den Hammer. Am 21. Januar 1975 berichtete die „Walsroder Zeitung“, dass allein die zweite Versteigerung an die 1.000 Interessenten und Neugierige nach Dorfmark gelockt hatte – teilweise kamen sie gleich mit Lastwagen, um das Ersteigerte abzutransportieren. Die „Walsroder Zeitung“ informierte ihre Leserschaft, dass einige Hallen „an einen Herrn aus Wolfsburg“ gingen. Am Schluss des Artikels grübelt der Redakteur:  „Was mit ihnen geschieht, wie lange in Dorfmark noch in Teilen des Werkes gearbeitet wird, darüber war … noch nichts zu erfahren.“ Nun, die Werkshallen übernahm 1975 die Firma Schönberger aus Wolfsburg, die dort einen Bau- und Heimwerkermarkt einrichtete, der selbst schon lange Geschichte geworden ist…