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Archivalie des Monats Juli 2020: Gott zum Gruße, Wandersmann – „Führer von Walsrode und Umgebung" aus dem Jahr 1910

Vor 110 Jahren war es nicht anders als heute: Wer Sommerfrischler zum längeren Verweilen an einem Ort bewegen wollte, musste seinen Gästen eine Menge bieten. Insbesondere Wanderungen waren beliebt. Um für jeden Wunsch das Richtige vorschlagen zu können, war es üblich, nicht nur im Urlaubsort und seiner unmittelbaren Umgebung Touren anzubieten, sondern auch Ausflüge in die Nachbargemeinden miteinzubeziehen. So geschah es auch im 1910 erschienenen „Führer von Walsrode und Umgebung".

 

 

 

 

Als „Perle der Heide" wird der Luftkurort Walsrode auf dem Umschlag der Broschüre gepriesen, die 1910 vom dortigen Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs herausgegeben wurde. Fallingbostel suchte dies zu übertrumpfen, indem es sich in den 1930er Jahren auf den Poststempeln in Anlehnung an eine Zeile des Gedichts „Pfingstmorgen in der Lieth" von August Freudenthal (geb. 1851 in Fallingbostel, gestorben 1898 in Bremen) als „Paradies der Heide" bezeichnete. Beide Orte wollten den zumeist aus größeren Städten kommenden Urlaubern vor allem eins bieten: Einen Aufenthalt in idyllischer Natur als Gegenpol zur Hektik des städtischen Alltagslebens. Das einleitende Gedicht des Walsroder Wanderführers bringt dies gut zum Ausdruck:

 

Gott zum Gruße, Wandersmann,

Sei uns froh willkommen!

Schau Dir unsre Heide an,

Wenn Du Rast genommen

Und dies Land voll Eigenart

Wird sich Dir erschließen.

Eine rechte Heidefahrt

Ladet zum Genießen.

Findest Menschen frei und frank,

Freundlich schlicht im Wesen,

Machte Dich die Arbeit krank –

Hier wirst Du genesen,

Ruhe atmet jeder Ort,

Tröstend Dich im Leide.

Ach, des Friedens wahrster Hort

Ist die braune Heide.

 

Im Aufbau ähneln sich die Orts- und Wanderführer, die von den Verkehrsvereinen vor einem Jahrhundert herausgegeben wurden – gleich ob in Walsrode, Fallingbostel oder Dorfmark. Zunächst wird die Geschichte des Ortes geschildert, dann wird auf die zeitgenössischen Einrichtungen, Besonderheiten und Sehenswürdigkeiten hingewiesen bevor dann die verschiedenen Wanderungen so beschrieben werden, dass sich eigentlich niemand verlaufen sollte. Den Abschluss bildet dann ein oftmals die halbe Broschüre einnehmender Inseratenanhang. Dass hier Privatquartiere, Pensionen, Hotels, Gasthöfe und die örtlichen Händler sich möglichst positiv präsentieren, erstaunt nicht, aber wer hätte schon erwartet, dass auch das „Atelier für Zahnkunst" von Franz Germer und das „Zahn-Atelier" von Ida Berg in Walsrode für sich werben? Eigentlich dürfte jeder Gast heilfroh gewesen sein, seinen Urlaub ohne Zahnbeschwerden zu verbringen. Nun, wie dem auch sei, das Durchblättern des typographisch äußerst ansprechend aufgemachten „Inseratenanhangs" ist eine Zeitreise der besonderen Art, die immer noch viel Spaß macht.

 

Von den neun im „Führer von Walsrode und Umgebung" beschriebenen Wanderungen führt eine, die etwa vier bis fünf Stunden dauern soll, über Fallingbostel. Eine Tagestour startet in Dorfmark, in das der Gast von Walsrode aus mit der Bahn fahren soll, um von dort über den Achterberg, die Sieben Steinhäuser nach Fallingbostel zu wandern und dann wieder mit der Bahn zurück nach Walsrode zu fahren. Für eine dritte Wanderung wird den in Walsrode untergekommenen Urlaubern ebenfalls geraten „Nach Fallingbostel benutze man die Bahn". Über Küddelse und Vierde – von dem das Foto eines typischen niedersächsischen Bauernhauses abgedruckt wird – führt der Weg nach Dorfmark: „Hier besteigen wir den Zug und sind nach halbstündiger Fahrt wieder in Walsrode."

 

Aber nicht nur die Wegstrecke wird geschildert – mitsamt den Hinweisen, wo man einen herrlichen Ausblick hat, wo es sich lohnt, einzukehren und Rast zu machen und wo die Farbenpracht des Laubes unbeschreiblich ist –, sondern es wird auch auf manch anderes eingegangen. Wenn der Weg die Wanderer und Wanderinnen am Quintus-Denkmal in Fallingbostel vorbeiführt, versäumt es der „Führer von Walsrode" nicht, das Wirken des Oberamtmanns Heinrich Guichard, genannt von Quintus Icilius, zu würdigen und zu berichten, wie einer seiner Vorfahren von Friedrich dem Großen diesen ungewöhnlichen Adelstitel verliehen erhielt.

 

Auch wenn Achterberg und die Sieben Steinhäuser heute auf dem Truppenübungsplatz Bergen liegen, so dass sie jetzt nicht mehr bzw. nur an bestimmten Tagen erreichbar sind, Wandersmänner und Wandersfrauen sind weiterhin froh willkommen. Ihnen eine breite Auswahl an Wanderrouten zu bieten, ist ortsübergreifend das Bestreben der Touristiker der Vogelpark-Region.