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Datum: 03.07.2024

Archivalie des Monats Juli 2024: Ilse von Idingen - Eine Erzählung der in Fallingbostel geborenen Schriftstellerin Friederike Fricke

Fallingbostel war nicht nur der Geburtsort der Schriftsteller Friedrich und August Freudenthals (1849-1929 bzw. 1851-1898), sondern auch eine Schriftstellerin kam hier zur Welt. Am 28. Mai 1855 wurde hier Friederike Fricke geboren, die eine ganze Reihe von Romanen und Erzählungen veröffentlicht hat, sich aber auch wissenschaftlich betätigte. Die Heide und die Umgebung von Fallingbostel waren ihre bevorzugten Handlungsorte, wobei sie oftmals weit in die Geschichte zurückging. Insbesondere der Reformationszeit galt ihr Interesse – so auch in ihrer Erzählung „Ilse von Idingen“.

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Die Erzählung "Ilse von Idingen" spielt zur Reformationszeit


Friederike Fricke kam als Tochter des Amtsrentmeisters August Fricke zur Welt. Das Haus, das sich die Familie baute, steht heute noch in der Walsroder Straße. Nach Besuch des Lehrerinnenseminars in Osnabrück legte sie 1873 in Petershagen ihr Examen als Erzieherin ab. Sie war einige Jahre lang Hauslehrerin auf einem mecklenburgischen Rittergut und danach bis zu ihrer Pensionierung Mittelschullehrerin in Göttingen, wo sie zusammen mit ihrer Mutter lebte. Im Alter von 41 Jahren bestand sie in Berlin ihr Examen als Oberlehrerin (Deutsch und Religion). Sie gehörte zur ersten Serie der Kandidatinnen für die Oberlehrerinnenprüfung, blieb aber trotzdem im Dienst der Mittelschule.

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Friederike Fricke (1855-1945) veröffentlichte einige ihrer Bücher unter dem an die Heide angelehnte Pseudonym "Erika"

Für alles Klassische begeistert, nahm sie Privatstunden, um die lateinische, die griechische und die hebräische Sprache zu erlernen, so dass sie in der Lage war, das Neue Testament im Urtext zu lesen. Viele Jahre erteilte sie Privatunterricht im Mittelhochdeutschen und Gotischen. Von ihrer humanistischen Bildung und tiefen Gläubigkeit zeugte ihre 1898 erschienene Abhandlung Luthers kleiner Katechismus in seiner Einwirkung auf die katechetische Literatur des Reformationsjahrhunderts. Männliche Überheblichkeit klingt aus den Worten der Göttinger Theologen Prof. Knoke und Prof. Tschackert, die in ihrem Vorwort zur Veröffentlichung im renommierten Verlag Vandehoeck & Ruprecht als „ebenso ungewöhnlichen wie erfreulichen Umstand“ hervorheben, „dass hier ein Werk von einer Dame veröffentlicht wird, welche dadurch bewiesen hat, dass sie literarische Untersuchungen mit Fleiß, Ausdauer und glücklichem Erfolge anzustellen versteht.“ Friederike Fricke starb 90-jährig 1945 in Göttingen.

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Beginn der Erzählung "Ilse von Idingen"

Die Liebe zur Heideheimat, fundierte geschichtliche Kenntnisse und das besondere Interesse an der Reformationszeit prägten viele von Friederike Frickes Erzählungen, Romanen und Gedichten, die anfangs unter dem Pseudonym Erika veröffentlicht wurden. Diese Ausrichtung wird deutlich, wenn sie ihr Buch Der Erbe mit dem Untertitel Eine Erzählung aus althannoverscher Zeit versieht, den Büchern Hans Markwarts Jugend und Eine reiche Erbin Bibelverse voransetzt und in den Band Dein Will’, der ist der Beste Erzählungen mit Titeln wie Die Konfirmandenstunde, Ein gutes Bekenntnis oder Ein ewiges Evangelium aufnimmt.

In ihrer Erzählung Ilse von Idingen, die erstmals 1908 erschien, spielt das Gebiet der Idinger Höfe und der sie umgebenden Heide, die mittlerweile vom Wachstum Fallingbostels vereinnahmt worden sind, eine besondere Rolle. Friederike Fricke erzählt, wie zur Zeit der Einführung der Reformation im Lüneburgischen Wilhelm von Cram die in der winterlichen Lieth von zwei Wölfen angegriffene Ilse von Idingen rettet. Er beglei­tet die junge Frau nach Idingen und fragt sie nach ihrem Heim aus. Ilse antwortet ihm,

(…) dass es zu Idingen zwei Höfe gebe, dicht aneinander liegend; auf dem Nachbarhofe wohne Johann Wildung (...) mit seiner alten Mutter und seinen jüngeren Ge­schwistern. Man glaube, die Höfe seien einst in einer Hand ge­wesen, denn noch würden beide nach den Idingen genannt, auch sei die Holzgerechtigkeit ihnen gemeinsam. „Seid ihr frei?“ fragte Wilhelm. „Wir sind dem Landesherrn pflichtig, aber sonst nie­mand,“ versetzte Ilse stolz. „Selbst vom Zehnten sind die Idinge von jeher frei gewesen; dafür muß der Vater jedes Jahr auf Dionysii dem Kloster vier Schillinge entrichten.“

Unter diesen Gesprächen waren Ilse und ihr Gefährte an die Föh­ren von Idingen gekommen. (...) Bald war der Hof erreicht; Ilse öffnete das Tor und führte ihren Gast dem Hause zu. Wilhelm hat­te schon manchen Bauernhof gesehen; dennoch blickte er sich neu­gierig um. (...) Der Hof war groß; hie und da standen Eichen; in der Mitte erhob sich das Haus, von seinem hohen beschneiten Dache wie von einem weißen Mantel umhüllt, unter dem die Türen und Fenster wie neugierige Augen hervorblickten. Der Speicher und eine Häuslingswohnungen und Stallgebäude lagen unweit des Hauses, auch zeigte Ilse ihrem Gaste den kleinen, umzäunten Gar­ten, der im Sommer Blumen und Küchenkräuter brachte, und ganz im Hintergrund den Immenzaun. Wie ein dunkelgrüner Kranz schlossen die Föhren das ganze Bild ein; nur nach der einen Seite nicht, wo man über einen niedrigen Zaun in den Nachbarhof blickte.

Bild vergrößern: Illustration zur Erzählung "Ilse von Idingen": Wilhelm führt die von ihm vor dem Wolf gerettete Ilse auf den Hof in Idingen
Illustration zur Erzählung "Ilse von Idingen": Wilhelm führt die von ihm vor dem Wolf gerettete Ilse auf den Hof in Idingen

Wilhelm ist angetan von diesem Anwesen. Dabei hatte er früher ge­dacht, „(...) man könne sich in solchen durchräucherten Hütten, mit dem Vieh unter einem Dache, nicht wohl fühlen (...).“

Wilhelm von Cram verliebt sich in die junge Frau, die angesichts der Gefahr, in der sie schwebte, nicht einer Rasenden oder Ver­zweifelnden glich, „(...) sondern auf ihre Stirne lag der ruhige Heldenmut, der um das Leben ringt, weil es Gottes Gabe ist, der aber auch bereit ist, es in des Gebers Hände zurückzugeben.“ Doch sowohl sein Vater als auch Herzog Ernst widersprechen sei­nen Heiratsabsichten. Er solle in seinem Stande heiraten und nicht Unglück über die junge Frau heraufbeschwören. Doch Wilhelm schlägt sich Ilse nicht aus dem Kopf. Seine beständige Liebe setzt sich über alle Bedenken hinweg. Er ist sogar bereit, auf seinen Adelsstand zu verzichten: „(...) ich werfe den Ritter ab und werde ein Bauer, der hier mit Dir und den Deinen lebt.“

Friederike Fricke greift in ihrer Geschichte einerseits auf ver­briefte Tatsachen zurück, wie den Flurnamen Wolfsschlucht in der Fallingbosteler Lieth oder die Idinger Doppelhöfe, andererseits waltet dichterische Freiheit. Sie hatte auf dem Fallingbosteler Pfarramt, im Walsroder Kloster und beim Meinerdinger Pastor das wenige zusammengetragen, was überliefert worden war. Doch eine lediglich auf historischen Fakten beruhende Erzählung konnte sie wegen des Mangels an Unterlagen nicht schreiben.

Bild vergrößern: Das von der Familie Fricke in Fallingbostel gebaute Haus steht heute noch in der Walsroder Straße
Das von der Familie Fricke in Fallingbostel gebaute Haus steht heute noch in der Walsroder Straße

Ihrem Heimatort Fallingbostel blieb Friederike Fricke auch dann noch verbunden, als sie zu ihrer Mutter nach Göttingen gezogen war. Ihr Bruder war als praktischer Arzt in Fallingbostel tätig. Dr. Fricke erwarb sich große Verdienste um die Gründung des Vaterländischen Frauenvereins, dem Vorläufer des Deutschen Roten Kreuzes, und des Altersheims. Ihn besuchte Friederike Fricke des Öfteren. Trotz der Liebe zu ihrem Geburts­ort verkannte Friederike Fricke nicht, dass es für die Heide auch Nachteile mit sich brachte, in Mode gekommen zu sein:

Es gibt in der Heide Eisenbahnen und Radfahrer; und seit sie 'entdeckt' ist, ziehen nicht nur Maler und Photographen dort umher und he­ben ihre Schätze landschaftlicher Schönheit, wird nicht nur ihre reine, gesunde Luft für Sommerfrischen und Erholungsorte genutzt - nein, ihre weiten Heideflächen sind ja so billiger Boden: Exer­zierplätze, auf denen sich schießen lässt, so weit man will, Fa­briken übelriechender Stoffe, die sonst niemand dulden mag, Pulvermühlen, die weit und breit keinen Nachbarn haben dürfen, lassen sich bequem in der Heide anlegen. Man braucht kein Pessi­mist und Kulturfeind zu sein, um zu finden, dass es nicht immer wünschenswert ist, „entdeckt“ zu werden.

Bild vergrößern: Einband von Friederike Frickes Erzählungsband "Dein Will' der ist der Beste"
Einband von Friederike Frickes Erzählungsband "Dein Will' der ist der Beste"

Veröffentlichungen und Übersetzungen von Friederike Fricke (auch pseudonym)

Bersier, Eugène: Das Königtum Jesu Christi. Autorisierte Übersetzung von E. T. (d. i. Fricke, Friederike [1890a]). Bremen.

Erika [d. i. Fricke, Friederike] (1890b): Eine reiche Erbin. Erzählung. Stuttgart.

Erika [d. i. Fricke, Friederike] (1891): Hans Markwarts Jugend. Stuttgart.

Erika [d. i. Fricke, Friederike] (1895): Dein Will' der ist der beste. Erzählungen. Stuttgart.

Fricke, Friederike (1897): Die Quellen des Julius von Tarent. In: Euphorion. Zeitschrift für Litteraturgeschichte 4. Jahrgang, S. 49-55.

Fricke, Friederike (1898): Luthers kleiner Katechismus in seiner Einwirkung auf die katechetische Literatur des Reformationsjahrhunderts. Göttingen.

Fricke, Friederike (1899): Die Laien-Biblia, ein Rätsel der Katechismusgeschichte. Zeitschrift für praktische Theologie 21. Jahrgang, Frankfurt/Main,  S. 229-245.

Fricke, Friederike (1901): Festspiel zur Einweihung der Mädchenmittelschule in Göttingen Herbst 1901. Göttingen. (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen, Signatur: D 206).

Fricke, Friederike (1901/1902): Was ist uns der Katechismus wert? Erwiderung auf den Aufsatz von Hermann Itschner in Nr. 16. In: Die Lehrerin in Schule und Haus. Zentralorgan für die Interessen der Lehrerinnen 18. Jahrgang, Leipzig S. 842-846.

Fricke, Friederike (1903 a): Ein anonymes deutsches Taufbüchlein von 1524. In: Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 8. Jahrgang, S. 319-325.

Fricke, Friederike (1903 b) Gedichte. In: Eckart, Rudolf (Hrsg.): Die geistliche Dichtung in Hannover. Hermannsburg.

Erika [d. i. Fricke, Friederike] (1908): Ilse von Idingen und andere Erzählungen. Hermannsburg.

Erika [d. i. Fricke, Friederike] (1912): Der Erbe. Erzählung. Hermannsburg.

Fricke, Friederike (1912): Der Katechismusstreit in Hannover im Jahre 1862. In: Hannoversche Pastoral-Korrespondenz 40. Jahrgang, S. 113-121, 129-139 und 145-152.

Erika [d. i. Fricke, Friederike] (1923): Ein gutes Bekenntnis. Stuttgart.

Fricke, Friederike (1914): Fallingbostel. Geschichtliches. In: Verschönerungsverein (Hrsg.): Fallingbostel und seine Umgebung. Fallingbostel. S. 3-7.

Fricke, Friederike (1921): Ilse von Idingen. Eine Heideerzählung aus alter Zeit. 2. Aufl. Hermannsburg.

Fricke, Friederike (1923 a): Fallingbostel. In: Niedersachsen 28. Jahrgang, S. 129-141.

Fricke, Friederike (1923 b): Festspiel zum 500-jährigen Jubiläum der Albanikirche. (Manuskript im Ev.-luth. Kirchenkreisarchiv Göttingen, Bestand: PfarrA St. Albani, Signatur: A 110).

Fricke, Friederike (Hrsg.) (1929): Aus dem Leben unserer Mutter. Familienbriefe für die Familie. Als Manuskript gedruckt. Hermannsburg.

Fricke, Friederike (1930): Der Edelknabe des Herzogs und andere Erzählungen. Hermannsburg.

Bild vergrößern: Mit der Abhandlung über Luthers kleinen Kathechismus legte Friederike Fricke eine Studie vor, die  bei einem Mann als Doktorarbeit gewertet worden wäre
Mit der Abhandlung über Luthers kleinen Kathechismus legte Friederike Fricke eine Studie vor, die bei einem Mann als Doktorarbeit gewertet worden wäre

Sekundärliteratur

Adress-Buch und Geschäftshandbuch für den Kreis Fallingbostel. O. O. 1926.

Brandes, Wolfgang: Friederike Fricke: Von Fallingbostel nach Göttingen. Hinweise auf eine vergessene Verfasserin von erbaulicher Unterhaltungsliteratur und theologische-historischen Untersuchungen. In: Lehmberg, Maik (Hrsg.): Sprache, Sprechen, Sprichwörter. Festschrift für Dieter Stellmacher zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2004, S. 55-66.

Dammermann, Bernhard: Friederike Fricke (1855-1945): Lehrerin – Autorin – Christin. In: Dorothea Biermann und Hans Otte (Hrsg.): Frauen-Christentums-Geschichten aus Niedersachsen. Hannover 2003, S. 135-154.

Wetjen, Karolin: Das Globale im Lokalen. Die Unterstützung der Äußeren Mission im ländlichen lutherischen Protestantismus um 1900. Göttingen 2013, S. 108-115 und 122-125.