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Datum: 31.05.2023

Archivalie des Monats Juni 2023: Wie Wünnen Mutter 1813 zu Geld kam

Wilhelm Westermann hat in den beiden 1949 und 1952 erschienen Bänden seiner „Orts-Chronik von Fallingbostel“ nicht nur viele geschichtliche Daten zusammengestellt, sondern er versucht auch, durch manche Anekdote das Leben in früher Zeit anschaulich zu machen. Dazu trägt auch die Erzählung bei, wie Wünnen Mutter 1813 zu Geld kam.

So wichtig es ist, in einer Chronik die geschichtlichen Ereignisse zeitlich genau zu verorten, braucht es doch noch mehr, um den Geist der Zeit und das Lebensgefühl der damals lebenden Fallingbosteler nachvollziehen zu können. Lebensberichte, Geschichten und Anekdoten, in denen „allerhand ut ohle Tied“ erzählt wird, runden unser Bild von der Vergangenheit ab.

Als Wilhelm Westermann 1949 im ersten Band seiner „Orts-Chronik von Fallingbostel“ davon berichtete „Wie Wünnen Mutter zu Geld kam“, lagen die geschilderten Ereignisse für ihn schon fast anderthalb Jahrhunderte zurück. Für uns heutige ist der Abstand nochmals größer geworden, denn mittlerweile sind 210 Jahre verstrichen. Das macht es erforderlich, an der einen oder anderen Stelle Westermanns Erläuterungen für die Leserschaft des Jahres 1949 durch in eckige Klammern gesetzte Ausführungen zu ergänzen. Wilhelm Westermanns Text wird in neuer Rechtschreibung wiedergegeben.

Wie Wünnen Mutter zu Geld kam

Bild vergrößern: In der Celler Straße (heute Vogteistraße) befand sich bis 1945 dies Rauchhaus., das dem von Wünnen Mutter geglichen haben dürfte.
In der Celler Straße (heute Vogteistraße) befand sich bis 1945 dies Rauchhaus., das dem von Wünnen Mutter geglichen haben dürfte.

Wo in Fallingbostel heute das „Hotel zur Lieth“ steht [mittlerweile befindet sich hier das „Stadthotel“], stand vor rund 140 Jahren in der Franzosenzeit ein Rauchhaus [in dem Mensch und Tier unter einem Dach lebten und kein Schornstein vorhanden war, so dass der Rauch der offenen Feuerstelle durch das geöffnete Dielentor abziehen musste], dessen Eigentümerin war Wünnen Mutter. In einer kleinen Schankstube ihres Hauses versorgte sie einen Gastwirtschaftsbetrieb. Waren alltags mehrere oder wenige Fallingbosteler ihre Gäste, so füllten am Sonntagmorgen die Kirchleute von den Dörfern die Gaststube. Bei Schnaps, Stuten und auch wohl Fleischbrühe wurden Gedanken ausgetauscht und vom Neuesten der vergangenen Woche erzählt. Im Hause war ein Knecht namens Asche, Wünnen Mutter nannte ihn immer „Aske“, sie war wahrscheinlich eine Friesin.

Im Sommer 1813 waren die Franzosen von Hamburg her auf dem Rückzug [während der Napoleonischen Kriege wurde Hamburg 1806 von den Franzosen besetzt, die Mitte März 1813 den russischen Truppen unter Oberst Tettenborn wichen, aber schon Ende Mai 1813 wieder zurückkehrten und erst im Mai 1814 endgültig die Stadt räumten]. In kleineren Trupps kamen sie auch durch Fallingbostel. Nun war Wünnen Knecht eines Tages beim Heidehauen im Berk am Düshorner Weg. Da sieht er plötzlich einige Franzosen daherkommen, die vom Weg abbiegen und auf ihn zukommen. Asche rafft schnell Jacke und Ränzel auf und verschwindet in den Schutz eines großes Wacholderbusches, aus dem er aber die Franzosen beobachten kann. Sie sehen wild aus und schwadronieren heftig. Zwei von den Kerlen schleppen ein kleines Fass, das anscheinend nicht leicht ist. Jetzt halten sie, das ist da drüben beim Fuchsbau. Vielleicht wollen sie den Füchsen zu Leibe, denn sie fangen hastig an zu graben. Aber nein, daran denken sie nicht. Sie haben vielmehr eine Kule gegraben, in die sie das Fass rollen. Das Zuwerfen ist im Hand­umdrehen geschehen, sie ziehen ab zum Düshorner Weg, verpusten sich dort eine Weile, schauen noch mal nach allen Seiten, nachdem sie einen frischen Birkenzweig als Zeichen in den Graben stecken, und trotten in Richtung Düshorn davon.

Erst nach geraumer Zeit wagt sich Asche aus seinem Versteck an seine Arbeit. Bald wagt er sich an die Stelle, wo die unheimlichen Gesellen gewirkt haben. Na, denkt Asche, was wird im Fass sein? Bier oder Schnaps, das ist doch sicher! Am liebsten hätte er es nun gleich ausgebuddelt, aber das könnte immerhin gefährlich werden, wenn, was anzu­nehmen ist, bald einige von den Brüdern zurückkommen werden. Würden die Teufel ihn ertappen, dann wär’s um ihn geschehen. Also, abwarten! Für heute am Tage die Sache auf sich beruhen lassen, obendrein ist’s ja auch gleich Feierabend.

So macht er sich auf den Weg nach Haus und erzählt Wünnen Mutter sein Erlebnis. Die hat helle Ohren. Schnaps und Bier sind in den letzten bösen Jahren ganz rar geworden. Wie oft müssen die Gäste mit einem Schnaps und einem Bier abgespeist werden, ja manchmal fehlt beides, wenn man gerade einen schönen Groschen verdienen könnte! O ja, o ja, denkt Wünnen Mutter, mit einem Fass Schnaps wäre schon was anzufangen, das würde sich bezahlt machen. Diese Gedanken lassen der Frau keine Ruhe, sie kann nicht ein­schlafen, steht wieder auf und weckt ihren „Aske“. Es ist so schöner Mondschein, da lässt sich doch etwas zur Erkundung unternehmen. Ja, Asche ist sofort einverstanden, denn das hat er sich fest vorgenommen, morgen früh so wie so eine Schaufel zum Nachgraben mitzunehmen. Noch besser ist so, wie Wünnen Mutter will, gleich jetzt los. Karre und Schaufel nehmen sie mit.

Bald sind sie bei der Stelle angelangt, warten ein wenig, überzeugen sich von der sicheren Stille nah und fern, dann gräbt Asche schnell, als könnten die Teufel kommen, das Fass frei. Heraus damit! O, ist schwer! Was, es klirrt da drin ja! Schnaps? Bier? Nein! Das kann Geld sein. Ja, diese Brüder haben sich allerlei zusammengeraubt! Schnell wird das Fass auf die Karre geladen und dann geht’s schnell nach Haus.

An Schlaf ist nicht zu denken. Sofort wird das Fass geöffnet. Geld ist darin, eine Masse Geld, Goldstücke, Silberstücke, von allen Sorten in Hülle und Fülle. Das Wagnis hat sich gelohnt. Und was ist weiter dabei, wenn man’s behält! Den Räubern ist das Geraubte wieder abgenommen! Und wem’s ge­hört, das kann niemand wissen und sagen. Es bleibt nichts anderes zu tun, als teilen und schweigen. Und so wird’s sofort gemacht. Asche erhält seinen Teil und bringt Gold und Silber in seinen Koffer. Das meiste aber wandert in Wünnen Mutters Bei­lade im großen Eichenkoffer ihrer Kammer.

Bild vergrößern: Das "Hotel zu Lietth" an der Einmündung der Scharnhorststraße auf den Kirchplatz präsentierte sich um 1900 als sehr gute Unterkunft.
Das "Hotel zu Lietth" an der Einmündung der Scharnhorststraße auf den Kirchplatz präsentierte sich um 1900 als sehr gute Unterkunft.

Ja, wer in solchen Zeiten zu Geld kommen will, muß Glück haben. Wünnen Mutter hat’s gehabt und ihr „Aske“ auch. Gleich nach den Kriegswirren ließ Wünnen Mutter ihr Rauchhaus umbauen und einige Jahre später aufstocken. An Geld fehlte es ihr dazu nicht. Wünnen Erben waren die Brüder Karl und Friedrich Schmidt. Sie verkauften die Wirtschaft an Wulkop, der sie mit dem Namen „Hotel zur Lieth“ benannte. Karl Schmidt war Kaufmann auf der heutigen Stelle von Niemann [das Anwesen von Kaufmann Niemann befand sich in etwa auf dem heutigen Grundstück Vogteistraße 8].

Bild vergrößern: Das Geschäftshaus von Karl Niemann befand sich in der Celler Straße (heute Vogteistraße).
Das Geschäftshaus von Karl Niemann befand sich in der Celler Straße (heute Vogteistraße).

Friedrich Schmidt war der Oekonom und Freund von Quintus [der Ökonom, Sparkassengründer und Politiker Friedrich Schmidt wird in der Archivalie des Monats Juni 2020 vorgestellt]. Aus drei gekauften Kötnerstellen machte er das Schmidt’sche Gut. Auf dem Hof hatte er auch eine große Brennerei, die Ende der 60er Jahre des vorigen Jahr­hunderts [also in den 1860er Jahren] mit allen Nebengebäuden durch Brandstiftung vernichtet wurde. Schmidt ist durch dieses Brandunglück verarmt. Seine Erben haben das Gut an den Nach­folger von Wulkop, den Gastwirt Ohland, verkauft, der es im Einzelnen veräußert hat.