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Archivalie des Monats November 2020: Rudolf Klessing erhielt vor 35 Jahren Bundesverdienstkreuz für den journalistischen Brückenschlag zwischen den Altkreisen Soltau und Fallingbostel

35 Jahre ist es her, seitdem am Pfingstsamstag 1985 der damalige Oberkreisdirektor Klaus Schumacher dem langjährigen Redaktionsleiter der „Walsroder Zeitung" das Bundesverdienstkreuz überreichte. Der in Fallingbostel lebende Klessing erhielt diese Auszeichnung, weil er sich – wie die „Böhme-Zeitung" titelte, in liberaler Grundhaltung um den Großkreis verdient gemacht hatte. Denn mit der Ordensverleihung wurde besonders der journalistische „Brückenschlag" zwischen den Altkreisen Soltau und Fallingbostel honoriert.

Rudolf Klessing wurde 1919 im masurischen Lyck (heute E?k in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren) geboren. Einen Teil seiner Kinder- und Jugendzeit verlebte er im Ruhrgebiet, bevor er dann das private Goethe-Institut in Berlin besuchte. Als sehr junger Mann wurde er zunächst zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Rudolf Klessing kämpfte in Russland und zuletzt im Ruhrkessel. Er geriet in Kriegsgefangenschaft, konnte nach der Entlassung aber dank glücklicher Umstände seinen Traumberuf ergreifen: Er erhielt eine Anstellung bei der „Niederdeutschen Zeitung". Als dann die „Walsroder Zeitung" wieder erscheinen durfte, wechselte er im September 1949 zu ihr, wo er gemeinsam mit Heinz Weinert die Zwei-Mann-Redaktion bildete. Fallingbostel wurde zum Wohnsitz von Rudolf Klessing, seiner Frau und den beiden Kindern.

 

Anlässlich seines 65. Geburtstags wurde im Gratulationsartikel der „Walsroder Zeitung" anschaulich geschildert, welchem Berufsethos Rudolf Klessing anhing: "Die Nähe zum Leser war ihm schon früh ein verpflichten­des Moment.

Mit wachsender Erfahrung entwickelte der Journalist seinen ganz persönlichen, unverwechselbaren Stil. So trug er mit dazu bei, Zeichen zu setzen, dem Blatt ein neues, zeitgemäßes Gesicht zu geben. Als genauer Beobachter und guter Zuhörer arbeitete er sich nach und nach in jeden Aufgabenbe­reich ein. Dem reinen, leicht angestaubten Terminjoumalismus erteilte er eine klare Absage, indem er begann, in zum Teil mehr­seitigen Reportagen Persönlichkeiten und Institutionen vorzustellen. Dabei war es ihm eine Selbstverständlichkeit, nicht nur faktisches Wissen wiederzugeben, sondern vielmehr tief in die Materie einzutauchen, um sichtbar zu machen, was nicht auf den ersten Blick offenbar ist … Dabei spielt auch das Aufzeigen von Originellem und Hintergründigem eine große Rolle. Den Rahmen der üblichen, ‚normalen‘ Berich­terstattung zu sprengen, ist immer sein be­sonderes Anliegen gewesen."

 

Dementsprechend waren für den Bad Fallingbosteler Stadtarchivar die unzähligen Artikel, die Rudolf Klessing seit 1949 für die „Walsroder Zeitung" schrieb, auch eine unverzichtbare Quelle beim Verfassen der „Chronik von Fallingbostel 1930 bis 1995". Rudolf Klessings Zeitungsbeiträgen war stets seine tiefe Verbundenheit mit der Region anzumerken. Er verstand es, mit seinen sprachlichen Fähigkeiten, auch diffizile Angelegenheiten nachvollziehbar darzustellen und bei aller von ihm gewahrten Vertraulichkeit auch Hintergründe von Entscheidungen anzudeuten. Vor allem war sein Blick aber auf das ganze Gemeinwesen ausgerichtet. Gerade in seinen großen, zweiseitigen Artikeln nahm er sich die im heutigen, sehr hektisch gewordenen Alltagsgeschäft eines Journalisten kaum noch mögliche Zeit, sich intensiv auf Menschen, Institutionen und Sachverhalte einzulassen und einen tiefen Blick hinter die Oberfläche zu werfen.

 

Auf jeweils zwei WZ-Seiten hat er beispielsweise authentisch geschildert, mit welchen Gefühlen die Engländer vor vier Jahrzehnten in Fallingbostel lebten – „Die nahe Grenze bringt uns nicht um unseren Schlaf" –, porträtierte er Bürgermeister Hans-Hellmut Jordan, gratulierte dem Künstler Professor Karl Kämpf zum 80. Geburtstag – „Das Leben hat es eigentlich gut mit mir gemeint" – sprach mit dem Platzkommandanten Oberst von Coler über die Probleme mit der Schießbahn 12, schilderte den organisatorischen Ablauf einer Tourneetheater-Aufführung damals noch in der Aula der Grundschule und selbst auf Katzen, jene „Persönlichkeiten mit Samtpfötchen und Krallen", ging er ein, waren es für ihn doch „Hausgenossen, die ihr Leben lang nur Freude bereiten". So sind die vielen Tausende von Artikeln, die Rudolf Klessing mit „-si-" zeichnete, mittlerweile selbst zu einer gut geschriebenen historischen Quelle geworden.

 

Die 1970er Jahre waren mit der Gebiets- und Kreisreform eine unruhige Zeit, die einen Journalisten besonders forderte. Hoch schlugen die Wellen bei der Eingemeindung insbesondere von Dorfmark in die Stadt Fallingbostel. Während die Bild-Zeitung nicht davor zurückschreckte, von einem „stundenlangem Sirenengeheul" bei den Protesten der Dorfmarker beim Abholen der Akten aus „ihrem" Rathaus zu schreiben und für ein Foto kurzerhand einen riesigen Hund herbeizuholen, blieb Rudolf Klessing sachlich. Statt einer reißerischen Aufmachung ging es ihm um Fakten. Die eingemeindeten Ortschaften stellte er seinen Lesern vor, und auch nach der Zusammenlegung der beiden Kreise Soltau und Fallingbostel mit dem Kreissitz Fallingbostel, war er um Ausgleich und Verständnis bemüht.

 

Sein journalistischer „Brückenschlag" zwischen den Altkreisen Soltau und Fallingbostel wurde vor 35 Jahren mit der Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt. Bei der Verleihungsfeier am Pfingstsamstag 1985 betonte Oberkreisdirektor Klaus Schumacher: „Herr Klessing hat in seinem verdienstvollen kommunalpolitischen Engagement für unseren Landkreis mehr als das Übliche geleistet. Nach der Kreisreform und den Auseinandersetzungen über die Frage, welche Stadt Sitz der Kreisverwaltung werden sollte, setzte er sich, nachdem der Gesetzgeber gesprochen hatte, beispielhaft dafür ein, dass der neue Kreis zusammenwuchs, seine Bürger sich kennen lernten und zueinander fanden und dass sich im Wirtschaftsleben, im Leben der Vereine, Verbände und Organisationen und in der Kommunalpolitik das Bewusstsein, dem Landkreis Soltau-Fallingbostel anzugehören, zu einem Kreisbewusstsein entwickelte."

 

Und auch der – ebenfalls wie Schumacher aus Soltau stammende – Landrat Wolfgang Buhr blickte auf den Streit um die Kreisreform zurück. „Es war ein Gutes, Sie in der Verant­wortung der Walsroder Zeitung zu wissen", sagte Buhr und wür­digte den Beitrag Rudolf Kles­sings an der Entwicklung des Landkreises und daran, „dass heu­te viele, viele Menschen das Wir-Gefühl haben". In der Tat hatte sich Rudolf Klessing, wie es in der Überschrift der „Böhme-Zeitung" hieß, „in liberaler Grundhaltung um Großkreis verdient gemacht".

 

Gerade in hitzigen Kontroversen wäre es gut, mehr einen Brückenschlag wagende Journalisten wie den im Oktober 2000 verstorbenen Rudolf Klessing zu haben, der sich nicht nur mit der Lokalberichterstattung begnügte, sondern sich, wie Oberkreisdirektor Schumacher ausführte, immer wieder, wenn lokale Ereignisse es erforderten, mit Fragen der Bundes-, der Europa- und der Weltpolitik befasste, auch mit den Fragen nach den geistigen Grundlagen unseres Lebens, und darüber hinaus als Berichterstatter seine besondere Liebe der Kunst und Kultur in unserem Raum widmete.

 

Quellen:

Walsroder Zeitung vom 28.04.1984, 29.05.1985 und 19.10.2000

Böhme-Zeitung vom 29.05.1985