Archivalie des Monats Oktober 2017: Bildung des Trichinenschaubezirkes Vierde-Adolphsheide
Die Trichinenuntersuchung, die heute von der EU-Durchführungsverordnung 2015/1375 geregelt wird, erfolgte vor gut hundert Jahren auf der Basis des „Gesetzes betreffend die Schlachttier- und Fleischbeschau" (Reichsfleischbeschaugesetz) vom 3. Juni 1900. Auf seiner Grundlage kam es zur Bildung von Trichinenschaubezirken auch in unserem Kreis.
Zur Einführung der obligatorischen Trichinenschau kam es 1866 im Königreich Preußen, nachdem es 1863/64 zu mehreren Trichinenepidemien gekommen war. Bis dann zur Jahrhundertwende mit dem Reichsfleischbeschaugesetz eine reichseinheitliche Regelung gefunden wurde, sollen jährlich etwa 15.000 Erkrankungen aufgetreten sein. Durch die Fleischbeschau sank diese Zahl bis zur Mitte des 20. Jahrhundert auf nahezu Null.
Ausfluss des „Reichsfleischbeschaugesetzes" war auch das Schreiben des Landrats vom 28. Dezember 1907, in dem angeordnet wurde: „Vom 1. Januar d. Js. ab bilden die Gemeinden Vierde und Adolphsheide zusammen mit den zur politischen Gemeinde Fallingbostel gehörenden Höfen Ober- und Unter-Grünhagen einen eigenen Trichinenschaubezirk, für welchen der Zimmermann Heinrich Meinheit in Vierde als Trichinenschauer bestellt und verpflichtet worden ist. Die Trichinenschau in der Gemeinde Fallingbostel mit Ausnahme der oben genannten Höfe nimmt mit dem selben Zeitpunkte der Fleischbeschauer Pröhl hierselbst wahr."
So einleuchtend die Einführung der Trichinenschau ist, Erstaunen ruft es hervor, dass für den aus den Gemeinden Vierde und Adolphsheide gebildeten Bezirk ein Zimmermann als Trichinenschauer bestellt wurde. Nun, das Gesetz legte in § 1 zwar fest, dass Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde und Hunde (!), deren Fleisch für den menschlichen Verzehr bestimmt war, vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung (Schlachttier- und Fleischbeschau) unterzogen werden mussten, in § 5 hieß es aber nur: „Zu Beschauern sind approbirte Thierärzte oder andere Personen, welche genügende Kenntnisse nachgewiesen haben, zu bestellen." Laienbeschauer wurden also Tierärzten gleichgestellt. Offensichtlich wurden die Kenntnisse, die sich Zimmermann Heinrich Meinheit auf diesem Gebiet erworben hatte, für „genügend" gehalten. Allerdings dürfte es auch schwierig gewesen sein, in jenen Zeiten, da öffentliche Schlachthöfe nur in Großstädten zu finden waren, die wenigen „approbirten Thierärzte" auf dem Lande auch noch mit solchen häufig anfallenden Routineuntersuchungen zu belasten. Lediglich Pferde durften die Laienbeschauer nicht untersuchen – deren Beschau blieb den Tierärzten vorbehalten.
Ein anderer pragmatischer Gesichtspunkt, der im Reichsfleischbeschaugesetz zum Tragen kam, war die Ausrichtung auf die gewerbsmäßige Verwendung des Fleisches. Hausschlachtungen wurden von ihm nicht erfasst – sofern sich bei der Schlachtung keine „Merkmale einer die Genußtauglichkeit des Fleisches ausschließenden Erkrankung" (§ 2) zeigten. Ganz offensichtlich sollte durch das Herauslassen der Hausschlachtungen ein wesentlicher Widerstandspunkt gegen das Gesetz von vornherein umgangen werden.
Erst durch eine Verordnung des Reichsministeriums vom 10. August 1922 wurde bestimmt, dass die Schlachttier- und Fleischbeschau grundsätzlich approbierten Tierärzten zu übertragen sei. Nur in Bezirken, in denen keine approbierten Tierärzte zur Verfügung standen, durften Nichttierärzte als Fleischbeschauer bestellt werden. Die Laienbeschau sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nun also zur Ausnahme werden. Zur Begründung führte die Reichsregierung an: „Der tierärztlichen Fleischbeschau ist deshalb der Vorzug zu geben, weil der Tierarzt auf Grund seiner genauen Kenntnisse über das Wesen und die Übertragbarkeit von Krankheiten viel eher als der nichttierärztliche Beschauer in der Lage ist, die Beanstandungen kranker Teile auf das notwendigste Maß zu beschränken, wodurch er erhebliche Werte dem Verbraucher retten kann."
Wer wissen möchte, was zur Zeit des Schreibens des Landrats bezüglich der Einführung von Trichinenschaubezirken über die Trichine und die Trichinenkrankheit bekannt war, kann dies gut in einem alten Nachschlagewerk tun. „Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon" informiert in Band 2 seiner fünften Auflage (Leipzig 1911), auf Seite 862: „Trich?ne (Trich?na spir?lis Ow. [Abb. 1879]), zur Familie der Trichotracheliden gehöriger Haarwurm, sehr klein und dünn; Männchen [a] 1,5-2 mm lg., mit zwei kegelförmigen Zapfen am hintern Körperende, Weibchen [b] 3-3,5 mm lg., als gefährlicher Schmarotzer des Menschen, Schweins, Hundes, der Ratte und einiger anderer Warmblüter weit verbreitet, lebendiggebärend. Die geschlechtsreifen Weibchen leben im Dünndarm (Darm-T.), gebären je etwa 1500 Junge, die die Darmwand des Wirts durchbohren, in die Leibeshöhle oder in die Blut- und Lymphgefäße gelangen und von da namentlich im Bindegewebe weiter wandern, bis sie in Muskeln (bes. Zwerchfell-, Zwischenrippen-, Hals-, Kehlkopfmuskeln und Zunge) gelangen, worin sie sich, spiralig aufgerollt, mit einer häutigen, verkalkenden Kapsel umgeben (Muskel-T. [c]). Diese Zerstörung des Muskelfleisches erzeugt beim Wirte heftige Schmerzen, choleraähnliche Zufälle, Erbrechen, Muskelentzündungen, Muskelanschwellungen, Fieber, Lähmungserscheinungen, und häufig ist die sich derart äußernde Trichinenkrankheit (Trichinose) tödlich. Mit der Einkapselung verschwindet die Gefahr für den Kranken. Die Aufnahme von T. erfolgt mit dem Genuß von Fleisch, das Kapsel-T. enthält. Die Kapsel wird vom Magensaft aufgelöst und die eingekapselt gewesene Jugendform (Larve) der T. entwickelt sich nun in 1-2 Tagen zum geschlechtsreifen, die Muskel-T. erzeugenden Tier. Die Trichinose des Menschen wird durch den Genuß von rohem oder nicht genügend gekochtem trichinösem Schweinefleisch hervorgerufen, das Schwein bekommt die T. von der Ratte. Schutzmittel: Untersuchung durch Trichinenschauer, Durchkochen und Durchbraten des Schweinefleisches, Vermeidung des Genusses von rohem oder nur geräuchertem etc. Schweinefleisch, gründliche Zerstörung trichinösen Fleisches."