Archivalie des Monats Januar 2023: Die »Zeit der Zwölften« zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag
Vor drei Generationen hat der Lehrer und Heimatforscher Hans Stuhlmacher (* 16. Mai 1892 in Lüneburg; † 26. Februar 1962 in Walsrode) für sein 1939 erschienenes Buch „Die Heidmark“ Angaben über die Ortschaften und ihre Hofstellen gesammelt, die für die Anlegung des Truppenübungsplatzes Bergen weichen mussten. Aber auch mit den Sitten und dem Brauchtum im Jahreslauf, dem Aberglauben und der „Vörlaat“ hat er sich beschäftigt. Um die „Zeit der Zwölften“ zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag, die in anderen Regionen als „Rauhnächte“ bezeichnet wurden, ranken sich viele sagenhafte Erzählungen, insbesondere vom Helljäger. Aber lassen wir Hans Stuhlmacher selbst erzählen:
Die Zeit der Zwölften zwischen Weihnachten und dem „hohen Neujahr“ (6. Januar) war die heilige, geheimnisvolle Zeit der Rauhnächte. In dieser Zeit jagt der Helljäger mit seiner wilden Jagd und Meute mit ho - ho und to - to - jiff und jaff - und kiff und kaff durch die Luft. Steht eine Tür auf, so kommt einer der gnitterschwarzen Hunde des Heiljägers hinein (Ostenholz, Westenholz, Einzingen), läuft die Diele lang und legt sich an den Herd. Dort bleibt er, ohne zu fressen, das ganze Jahr liegen, nur die glühende Asche leckt er vom Herd. Kommt aber im nächsten Jahr der Helljäger in den Zwölften wieder, so wird der Hund schon vorher unruhig, äugt und spielohrt, bis sein Herr wieder da ist, dann stürmt auch der Hund davon. Mancher schon hat dem Helljäger das Rufen nachgemacht (Untereinzingen, Böstlingen), wie der Knecht Geistmann auf Brüggemannshof in Untereinzingen, der auf dem Trippenspieker schlief. Da flog auf einmal ein großer Pferdeschinken durch die Tür und der Helljäger rief: „Du heft mit jagen hulpen, schast ok mit fräten helpen.“ Die gleiche Belohnung erhielten alle, die in Kuhhäuten mit Hörnern verkleidet die Jagd des Helljägers mitgemacht hatten. Nicht so gut ging es dem Schneider, der in den Zwölften in der Nacht auf dem Wege von Bockhorn nach Fahrenholz war. Er hört ein Brausen in den Fuhren und sieht den Helljäger mit’n Koppel Hunn durch die Luft sausen. Vor Angst kriecht der Schneider in eine hohe Buche. Doch unter dieser Buche macht der Helljäger halt und futtert seine Hunde mit Peerschinken. Der eine Hund kriegt nichts ab, und als er seinen Herrn anguckt, sagt der Helljäger: „Ole, kannst di denn haalen, de dor baben in'n Boom sitt.“ –
Auf dem Hellhofe in Ostenholz lebte vor Zeiten ein Bauer, der ein leidenschaftlicher Jäger war. Einst verfolgte er auf seinen Jagdgängen einen weißen Hirsch, konnte ihn aber nicht erlegen. In seinem Jagdeifer machte er einen Vertrag mit dem Helljäger. Der wollte ihm den Hirsch geben, wenn er dafür in jedem Jahr die beste Kuh aus seinem Stalle abgeben würde. Der Vertrag wurde geschlossen, und der Hellhofbauer erlegte den Hirsch. Von der Zeit an wurde in jeder Christnacht im Stalle des Bauern die beste Kuh wild. Nichts half, sie wieder zu beruhigen, bis man die große Tür aufmachte und die Kuh hinausließ. Dann verschwand sie spurlos. So ging es viele Jahre. Schließlich wurde es in späteren Zeiten einem der Hellhofbauern zu dumm. Als am nächsten Christabend sich derselbe Vorgang in seinem Stalle abspielte, band er die Kuh los, ließ sie zur großen Tür hinaus und rief ihr nach: „Fahr hin in drei Teufels Namen!“ Seitdem hat der Spuk aufgehört. –
Im Hellhaus zu Ostenholz haben sie an einem Christabend vergessen, die Tür zu schließen. Als nun der Helljäger vorüberzog, ist einer der Hunde hineingelaufen und hat sich unter die Herdbank gelegt. Er ist durch nichts fortzutreiben gewesen, hat auch nichts gefressen. Nur hat er jeden Morgen die Asche vom Herd geleckt. Er lag das ganze Jahr an seinem Platze. Als nun im andern Jahr der Helljäger wiederkam, haben sie die Tür geöffnet und den Hund hinausgelassen. – Auch bei Könings und Wünnings in Ostenholz sowie bei Stakensnieders in Westenholz hat der Hund des Helljägers unter der Herdbank gelegen und Asche geleckt.
Der Helljäger nimmt auch die Ackergeräte mit, die draußen liegen bleiben; es wird darum alles hereingeholt. Alle Türen bleiben geschlossen. Gesponnen wird nicht. Die Jule (Spinnrad) steht still, auch darf kein Flachs auf Wocken und Haspel bleiben, sonst fährt der Helljäger hindurch. –
Der Helljäger erscheint aber nicht nur als wilder, böser Jäger in den Zwölften, sondern er wandert auch ohne Meute durch das Land und tut dann viel Gutes. Davon erzählt folgende Sage aus Oberndorfmark (auch in Vethem erzählt):
Ein Wanderer klopfte an die Tür. Hier wollte er übernachten. Und er blieb die ganze Nacht hinter dem Ofen. Am andern Morgen sagte er, sie könnten drei Wünsche aussprechen. Sie lehnten aber ab. Und seit der Zeit konnten sie die Tollwut eines Hundes heilen. Wenn einer aber wegheiratet, kann er es nicht mehr. Nur die können es, die in dem Hause wohnen, wo der Wanderer übernachtet hat.
Eine andere Wanderersage aus Einzingen erzählt folgendes: Ins keem an een'n Abend in‘e Twölften een’n ölen Wannersmann mit’n grooden Hoot un Mantel upp’n grooden Hoff. He puck an‘e Dör un sä to de Buurfroo, de em apenmaaken dä, wenn se nich n’ bäten watt Warms för em harr un’e lüttje Eck blangs ’n Aben, wo he de koole Nacht bliewen könn. De Buurfroo, de nährig wör, wies em aff. Dor güng he nu na’n Backhuus. Dor wan ne arme Wittfroo in. De dä glieks aals för den Wannersmann watt se könn. Se eeten tohopen Bree ut’n Kump, drünken Melk, un denn kreeg de Ole ok de Froo eer Bett, un se slöp upp’n Footbodden. Annern Morn, ans de Steern noch blinkem däen, wör de Ole all upp. He woll nu füdder gaan un fraag na sien Schuld. „Datt heff ick gern daan“, meen de Froo, „kumm man bald ma wedder.“ Dor sä he, se könn sick woll watt wünschen. Datt woll de arme Froo nich, un de Wannersmann sä: „Datt erste watt du von Dag deist, datt schast du denn gansen Dag doon“, un mit de Wör güng he aff. De Froo, de upp denn Snack nich väl gäben harr, woll sich nu n’ Hemd nein. De Rullen sülmst wäst Linnen, de se all denn Abend ans de Ole keem, trecht leggt harr, kreeg se nu to gang un füng an afftomäten. Ans se nu anfung’n harr, könn se nich afflaaten. Se mät un mät, un jümmer mehr Linnen köm tohope. So güng datt den gansen Dag, bitt to de Tied ans de Ole denn Abend vorher bi eer kaamen wör. Ans nu datt Linnen dor aal leeg, köm de nährige Buurfroo in‘e Dör. Backhuusmudder möß nu vertellen, watt datt togüng. Ans nu de Buurfroo datt hörn dä, güng se los un füng an, denn Olen to söken. Se fünn em ok bi datt groode Steenhuus in'n Hägt, la em in, un de Ole keem ok in’n Schummern un blew denn ok öwer Nacht. Annern Moorn sä de Ole dattsülwe, watt he to de Wittfroo seggt harr, un de Buurfroo harr all eeren Kuffer apen maakt, un datt erste watt se doon woll, scholl datt Geldtell'n wän. Ans se nu jüst anfangen woll, bölken de Kei un Swien ganz gräsig. Dor löppt nu de Buurfroo erst henn na’n Sood un haal Waader. Ans se de ersten Ammels henn harr, möß se denn gansen Dag Waader släpen. De ganse Däl stürm all vull, un datt Veeh wör meist versapen, dor köm die Tied in Schummern ans de Ole kaamen wör, un nu wör't Waadersläpen ok to Enn.
Auf die stille, heilige, sagenreiche und zukunftschauende Zeit weist noch folgendes Brauchtum in den Zwölften hin (16. Februar 1403 „in den twolffnachten to wynachten“): Der Hof wird gründlich gefegt und aufgeräumt. Es wird kein Mist gefahren; „süß kaamt de Wülf ünner de Grünn dörch“. Auch darf das Wort „Wulf“ nicht ausgesprochen werden (Dezember – Wulfsmon). – Nich plögen un de Eer rögen, süß mutt’n ok upp’n Kerkhoff Eer rögen. Ackergeräte und Werkzeuge dürfen nicht draußen liegen bleiben. Läßt man den Pflug draußen stehen, so wird er vorn Helljäger verhext. Das Land, das später damit gepflügt wird, trägt schlechte Frucht. Auch Eggen sind vor dem wilden Jäger zu schützen, sonst gibt es im neuen Jahre viel Unkraut. – Keen Pütt upp'n Tuun laaten. – Keenen Tuun bekleeben (Wäsche), süß mutt’n Sark bekleeden. – Keen Arften äten. – Am ersten Weihnachtstag und in der Neujahrsnacht darf man kein Wasser aus dem Sood trinken, dann ist das Wasser Wein, und eine Stimme sagt: „ls datt Waader Wien, denn bist du mien.“ Wie das Wetter in den 12 Tagen der Zwölften ist, so wird es in den 12 Monaten des Jahres: im Januar wird das Wetter so, wie am 2. Weihnachtstag usw. Steht in den Zwölften der Kirchhof offen, so muß er in jedem Monat geöffnet werden. Werden in den Zwölften durch Tod Eheleute aus- einandergerissen, so werden auch im nächsten Jahr 12 Paare auseinandergerissen. Auch der Ofen darf nicht „bekleedet weern“. Kommt man in den Zwölften vom Füttern und setzt sich zum Essen an den Tisch und findet dann beim Aufstehen ein Korn unterm Tisch, so „tält“ im neuen Jahr das Getreide am besten, von dem man ein Korn unter dem Tisch fand. – Sind die „Isschröckels“ in den Zwölften lang, so gibt es langen Flachs. Am letzten Tag des Jahres werden Wohnungen und Stallungen ausgeräuchert. – Die Apfelbäume werden geschüttelt und mit einem Strohseil, das noch Aehren mit Körnern hat, umwunden.
Waren nun die Zwölften sonst früher eine stille Zeit, so begrüßte man doch das neue Jahr mit Lust, Freude und Lärmen. – In jüngerer Zeit fand für die Heidmark in den Zwölften seit mehr als 60 Jahren das große Fest des Landwirtschaftlichen Vereins statt. Stets zwischen Weihnachten und Neujahr war dieser große und schöne Heiratsball unter dem brennenden Tannenbaum. Niemand, der ihn jemals mitmachte, wird ihn vergessen haben. Zu diesem Ball kam man von weit her aus der Marsch, aus dem Sticht und von Soltau. Da wurde dann auch die ganze Wohlhabenheit der Bevölkerung in den schönsten Kleidern gezeigt; denn es war der vornehmste Bauernball der ganzen Gegend. Der Amtshauptmann, später Landrat, leitete das althergebrachte Fest, auf das man sich schon lange vorher freute; denn dann waren auch die stolzen Urlauber mit ihren prächtigen Uniformen zu Haus. Zu Zeiten des Amtshauptmanns Hoppenstedt hatte Küsters Mudder vom Küsterhof, die am besten tanzen konnte, immer den ersten Tanz mit dem Herrn Amtshauptmann. Sie trug damals zum Tanze noch eine schwarze seidene Schürze. Die Bauerfrauen aus Uetzen waren schon vornehmer und spotteten über die Schürze und sagten zu den Vierdern: „Wenn ihr den Ersten mit Herrn Amtshauptmann haben wollt, müßt ihr ne schwarze Schürze vorbinden.“ – Küsters Mutter ist bei ihrer feinen Schürze geblieben und hat doch immer den Ersten gehabt. Später waren die kostbarsten Kleider zu sehen. Es war üblich, daß die jungen Mädchen nach Mitternacht in einem neuen Kleide erschienen. Dieser Ball gehört zu den schönsten Erinnerungen der Heidmärker. Später kamen die Feste in den Landwirtschaftlichen Vereinen und Bezirksbauernschaften in Ostenholz, Dorfmark und Düshorn hinzu. Auch hier war man dann ganz unter sich in frohester Gemeinschaft. Herrliche Feste waren das immer mit einer Fröhlichkeit, die ihresgleichen suchte.
(Hans Stuhlmacher: Die Heidmark. Hannover: C. V. Engelhard & Co. Gmbh, 1939, S. 77-79.)