Archivalie des Monats Januar 2024: Feldgrau beherrscht das Straßenbild Fallingbostels
Seit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz 1896 hatte es Fallingbostel geschafft, den Fremdenverkehr zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor auszubauen. Doch Mitte der 1930er Jahre traten durch die Anlegung des Truppenübungsplatzes Bergen erhebliche Veränderungen ein. Bald schon sollte Feldgrau das Straßenbild Fallingbostels beherrschen.
Die Errichtung der großen Truppenlager Fallingbostel (so der offizielle Name, obwohl sich das Gelände in Oerbke befand) und Bergen stellte ein gewaltiges Bauvorhaben dar, das sich über mehrere Jahre erstreckte und viele Tausend Arbeitskräfte benötigte. Nicht alles war schon fertiggestellt, als die Soldaten die Kasernen bezogen. Wo früher in den unmittelbaren Nachbarortschaften Sommergäste gewohnt hatten, mieteten sich jetzt zunehmend Arbeiter und Ingenieure ein.
Nach Aufnahme des militärischen Übungsbetriebes, vor allem aber dem Beginn des Zweiten Weltkriegs waren es dann Angehörige von Soldaten, die in Fallingbostel Unterkunft suchten, um ihre Männer, Söhne, Verlobte und Freunde zu treffen. Sie kamen in weitaus größerer Zahl, als es Zimmer in Fallingbostel gab. Wilhelm Westermann berichtet in seiner „Orts-Chronik von Fallingbostel“, dass im Jahr 1941, in dem der Fallingbosteler Verkehrsverein 20.000 Übernachtungen mit Kurtaxe verzeichnete, Soldatenmütter, -frauen und -bräute in vielen Fällen auf Stühlen im Wartesaal des Bahnhofs oder in Wirtschaften übernachten mussten.
Da das Truppenlager nicht über genügend Einkaufs- und Freizeitangebote für die Soldaten verfügte, begaben sie sich dazu ins nahe gelegene Fallingbostel. Am 3. September 1938 war ein Artikel der „Walsroder Zeitung“ mit „Feldgrau beherrscht das Straßenbild Fallingbostels“ überschrieben: „Das ganze Geschäftsleben wird stark beeinflußt durch die Anwesenheit von Soldaten, die von Schuhkrem bis zu Militäreffekten, von Zahnbürsten bis zu Tabakwaren benötigen und dank der Aufmerksamkeit der Geschäftswelt des Ortes, diese begehrten Sachen und Gegenstände auch erhalten können. Auch die Gaststätten haben viel zu tun.“
Der Truppenübungsplatz hatte zu einem „Männerüberschuss“ geführt, der sich in der Steigerung der Alkoholumsätze der Gastronomie niederschlug, aber auch noch andere Auswirkungen hatte. Auf humoristische Weise setzte sich der unter dem Pseudonym Hans ut Hamm schreibende Hans Reimer Steffen in der „Walsroder Zeitung“ am 26. Mai 1937 mit dem in und um Fallingbostel „aus verschiedenen Umständen“ herrschenden „großen Mangel an heiratsfähigen Mädchen“ auseinander. Die ledigen Männer hätten von den reinen Herrenabenden in den Gastwirtschaften genug und wären froh, überhaupt eine Deern zu bekommen, egal ob mit Plattfeut oder Trudelbännerbeen. „Die Eensomen seggt sich: Leewer een mit falsche Tänn, Gummistrümp und op Taillje bandaschiert as goarkeen!“
Die im großen Saal des „Hotels zum Böhmetal“ eingerichteten „Fallingbosteler Lichtspiele“ wurden auch im Hinblick auf das neue Publikum aus dem Truppenlager umgebaut und technisch aufgerüstet. Am 20. Mai 1938 wurden sie mit dem Film „Zauber der Bohème“ neu eröffnet. Die „Walsroder Zeitung“ berichtete am Tag vorher: „Die ‚Fallingbosteler Lichtspiele‘ erhielten eine neue, moderne Vorführungsmaschinenanlage, bestehend aus zwei der modernsten Bildton-Maschinen. Mit diesen Apparaten ist es möglich, ohne jede Unterbrechung das ganze Programm vorzuführen. Es fallen somit die so lästig empfundenen längeren Pausen weg.“ Auch eine moderne Tonfilmanlage wurde installiert und die Einrichtung zur Vorführung von Farbfilmen berücksichtigt.
Der Film spielte im Dritten Reich eine große Rolle. Intensiv wurde das Medium für die politische Beeinflussung genutzt. Durchaus mit Erfolg. Unter der Überschrift „Wegen Überfüllung geschlossen“ meldete die „Walsroder Zeitung“ am 16. August 1939 über ein besonderes Ereignis in den „Fallingbosteler Lichtspielen“: „Die erste Vorführung des Films ‚Im Kampf gegen den Weltfeind‘ mit dem Untertitel ,Deutsche Freiwillige in Spanien‘ ging vor völlig ausverkauftem Hause vor sich. Viele, die noch Einlaß begehrten, mußten umkehren, da die Polizei die Schließung des Theaters wegen Überfüllung angeordnet hatte.“ Der Sieg des spanischen Diktators Franco über die republikanischen Kräfte im April 1939 wurde von den deutschen Nationalsozialisten herangezogen, um eine Kriegsbegeisterung zu schaffen, die dann für den deutschen Überfall auf Polen am 1. September genutzt werden sollte. Die „Walsroder Zeitung“ hatte die „siegreiche Heimkehr der Legion Condor“, eines deutschen Luftwaffen-Verbandes, der auf Francos Seite im Spanischen Bürgerkrieg ohne deutsche Uniformen oder Hoheitszeichen gekämpft hatte, mit einer illustrierten Beilage bereits am 31. Mai 1939 groß herausgestellt. Diese Beilage enthielt auch einen beinahe ganzseitigen Artikel von „Hauptmann Maifarth, z. Zt. Fallingbostel“ über „Erlebtes in Spanien als Angehöriger der deutschen Legion“.
Reichspropagandaminister Goebbels hatte aber erkannt, dass im Krieg selbst Unterhaltungsfilme wichtiger sein konnten, als eine politische Indoktrination. Komödien, Musikfilme und leichte Unterhaltung wurden, je länger der Krieg dauerte, immer wichtiger, um die Stimmung bei Soldaten und Zivilisten zu heben. Während in den dem „Hotel zum Böhmetal“ angeschlossenen „Fallingbosteler Lichtspielen“ Filme liefen, wurde der große Saal des „Hotels zur Lieth“ (heute befindet sich an seiner Stelle das „StadtHotel“) für unterhaltsame Live-Veranstaltungen genutzt.
Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ veranstaltete hier einen von 450 Zuschauern besuchten Varieté-Abend („Walsroder Zeitung“ vom 17. November 1939) und ein Jahr später hieß es „Soldaten unterhalten Soldaten“ („Walsroder Zeitung“ vom 14. Dezember 1940): „Unter Soldaten finden sich immer talentierte Kameraden, die in der Lage sind, einige Stunden Unterhaltung nach schwerem Dienst zu vermitteln. So mag auch die ‚Bunte Bühne‘ unserer Infanteristen zustande gekommen sein, die hier in einem großen Saale ihre Eröffnungsvorstellung gab. Unter Teilnahme ihres Kommandeurs mit seinem Stabe wohnten zahlreiche Offiziere und Mannschaften der Vorstellung bei. Ferner waren erschienen Vertreter von Partei und Staat.“ Geboten wurden ein Trapezkünstler, ein Kunstschütze und Messerwerfer, ein Balance- und Radfahrakrobat und auch ein Komiker fehlte ebensowenig wie die musikalische Umrahmung. „Alles in allem: Es war ein gelungener Abend, und es wäre zu wünschen, wenn sich diese ‚BuBü‘ auch einmal vor einem zivilen Publikum zeigte.“
Am 18. Februar 1941 berichtete die „Walsroder Zeitung“ dann, dass der große Saal des Lieth-Hotels für die Dauer des Krieges in das Verfügungsrecht der Wehrmacht übernommen wurde: „Abend für Abend, manchmal auch nachmittags, finden hier für die Wehrmachtsangehörigen Darstellungen aller Art statt. Schauspieler großer Bühnen, Sänger und Sängerinnen, Varietekünstler von Ruf, italienische Orchester bieten hier dar, was man sonst nur an großen Plätzen sieht und hört, auch wir Einwohner haben hin und wieder Gelegenheit, hierbei über Zeit und Krieg mal wieder zu anderen Gedanken zu kommen.“
Im großen Saal des „Lieth-Hotels“ trat die Truppe des Humoristen, Komikers und Stimmungsmachers am Klavier, Jonny Algers, auf. Ihr Varieté-Programm bestand aus 12 Einzeldarbietungen. „Militär ermäßigte Preise“ („Walsroder Zeitung“ vom 8. August 1941) galt auch für das Gastspiel des Zelt-Zirkus Althoff wenige Tage später auf der als Marktplatz genutzten Freifläche hinter dem Lieth-Hotel: „Künstler- und Künstlerinnen. Marstall edler Pferde. Reiter und Reiterinnen, erstkl. Freiheitsdressuren. Volkstümliche Preise: von 80 Pfg. aufwärts. Kinder und Militär halbe Preise. Alles Sitzplätze.“ Zu Gunsten des Winterhilfswerks 1941/42 wurde von der NSDAP-Ortsgruppe ein „Tanzabend von Ilse Meudtner“ veranstaltet, die erste Solotänzerin der Staatsoper Berlin war („Walsorder Zeitung“ vom 26. September 1941).
Auch eine der damals populärsten Schauspielerinnen trat im „Hotel zur Lieth“ auf. Die, wie die NSDAP-Ortsgruppe in ihrer Anzeige betonte, „Staatsschauspielerin Lil Dagover“ gab ein Gastspiel, dessen Erträge ebenfalls dem Kriegswinterhilfswerk zu Gute kommen sollten: „Eintrittskarten zu 1,- RM bei den Blickfrauen der NS-Frauenschaft u. in der Buchhandlung Wittenberg. („Walsroder Zeitung“ vom 21. November 1941).
Welch Ausmaß die Truppenbetreuung im „Hotel zur Lieth“ hatte, lässt sich dem Bericht der „Walsroder Zeitung“ vom 19. Januar 1943 entnehmen: „Die Wehrmachtsbühne gibt heute abend die 500. Vorstellung mit einem Schwank „Aufruhr im Damenstift“. Bisher fand 70mal Programmwechsel statt. Über 250 000 Soldaten und Zivilisten haben die Darbietungen der Wehrmachtsbühne besucht.“
Der Krieg zog sich jedoch immer weiter in die Länge. Statt weiter vorzurücken, befanden sich die deutschen Truppen jetzt auf dem Rückzug. Die Lage verschlechterte sich nicht nur an der Front, sondern auch die Versorgung der Bevölkerung gestaltete sich zunehmend schwieriger. Wilhelm Westermann geht in seiner „Orts-Chronik von Fallingbostel“ unter dem Datum des 5. Dezember 1943 auf eine Versammlung im Saal des „Hotels zur Lieth“ ein: „Überfüllt. Landrat Mahler, Wesermünde, spricht über kommende U-Boottätigkeit und über Ernährungslage. Brot und Mehl stehen reichlich, Kartoffeln dagegen nur knapp zur Verfügung, an Fleisch fehlt es. Geflügel- und Kaninchenhaltung müssen unbedingt eingeschränkt werden, damit mehr eigentliche Fleisch und Fettträger, Schweine, richtig gefüttert werden können.“
Ein Jahr später verzeichnet Westermann für den 19. Dezember 1944: „Fallingbosteler Frauen decken im ‚Hotel zur Lieth‘ Kaffeetafel für die Ausgebombten. Jede Frau muß Kuchen und Brikett mitbringen.“ Die alliierten Luftangriffe hatten in vielen Großstädten Wohngebiete zerstört, insbesondere die „Operation Gomorrha“ in Hamburg. Auch nach Fallingbostel kamen Ausgebombte, die oftmals nur notdürftig untergebracht werden konnten. In der Reitbahnstraße entstanden Behelfsunterkünfte. Kaum noch ließ sich verschleiern, dass Deutschland den Krieg verlieren würde.
Nach der Befreiung der Kriegsgefangenenlager in Oerbke und des Ortes Fallingbostel am 16. April 1945 beschlagnahmten die britischen Militärbehörden auch Hotels und Pensionen. Ein Unterhaltungsangebot für Deutsche gab es in ihnen nun längere Zeit nicht mehr. Im „Gasthaus Köning“ wurde der Toc-H-Club, eine Betreuungsstelle für britische Soldaten, eingerichtet, das Kaufhaus Leiditz stand vorübergehend der NAAFI zur Verfügung, bei der nur die englischen Soldaten einkaufen konnten, das Hotel „Fallingbosteler Hof“ diente nach verschiedenen anderen Nutzungen zuletzt bis zu seiner Freigabe am 14. August 1953 als Offiziersklub.