Archivalie des Monats Mai 2024: Vor 75 Jahren erhielt Fallingbostel mit der Wirkung zum 1. April 1949 das Stadtrecht
Der Erhalt des Stadtrechts zum 1. April 1949 war ein wichtiges Ereignis für die Kommune Fallingbostel in schwieriger Zeit. Fallingbostel hatte durch den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten und Evakuierten zumeist aus Hamburg einen erheblichen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen. Zudem befanden sich in Oerbke mit dem der Entnazifizierung dienenden britischen Civil Internment Camp [CIC] No. 3 und dem DP-Lager [DP = Displaced Persons, womit Personen gemeint waren, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten und ohne Hilfe nicht zurückkehren oder sich in einem anderen Land neu ansiedeln konnten] zwei Einrichtungen, die auch auf die Gemeinde Fallingbostel ausstrahlten. Dies alles schien zum Status einer bloßen „Gemeinde“ nicht mehr zu passen.
Scheitern der gewünschten Zusammenlegung mit Oerbke und Pröbsten
Am 11. April 1947 fand in der Kreisverwaltung im Beisein eines Regierungsdezernenten aus Lüneburg eine Besprechung über die Aufteilung des Truppenübungsplatzes an die politischen Gemeinden und die Festlegung der Gemarkungsgrenzen statt. Ganz offensichtlich sollte zu diesem Zeitpunkt, als eine militärische Nutzung nur im eingeschränkten Umfang erfolgte, nach Ansicht der Bezirksregierung vom Modell des Guts- beziehungsweise Heeresgutsbezirks abgegangen und wieder eine „normale“ kommunale Organisationsform gewählt werden. Für Fallingbostel eröffnete diese Unterredung eine Perspektive, die vom Gemeinderat einstimmig gutgeheißen wurde. Am 16. April 1947 verabschiedete er bereits den Antrag: „Der Gemeinderat Fallingbostel ist in seiner Gesamtheit mit der von der Regierung vorgesehenen Zusammenlegung der Gemeinde Fallingbostel mit dem be- und unbebauten Gelände des Truppenübungsplatzes der alten politischen Gemeinde Oerbke und der Ortschaft Pröbsten einverstanden.“
Der wohl insbesondere von der Bezirksregierung angedachte Weg wurde dann jedoch nicht beschritten. Es blieb bei der am 31. Oktober 1945 vom Oberpräsidenten der Provinz Hannover und späteren ersten Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Hinrich Wilhelm Kopf, verfügten Wiederherstellung der vor 1938 gültigen Grenze zwischen den Landkreisen Celle und Fallingbostel sowie der Bildung der beiden Gutsbezirke Osterheide und Lohheide. Die Gemeinde Fallingbostel verstand es dennoch, aus den im weiteren Verlauf nicht realisierten Vorstellungen der Regierung in Lüneburg Kapital in der Frage des Stadtrechts zu schlagen.
Erneuter Streit um den Kreissitz mit Walsrode veranlasst Fallingbostel, das Stadtrecht zu beantragen
Obwohl Fallingbostel seit Jahrhunderten ununterbrochen Verwaltungssitz war, besaß es nur den Status einer Gemeinde. In der steten Konkurrenz mit Walsrode drohte dies zu einem Nachteil für den Kreisort zu werden. Walsrode versuchte nämlich, eine Kreissitzverlegung Mitte 1946 als „Akt vorausschauender Kommunalpolitik“ – wie es sein Stadtdirektor Stellmach in der „Hannoverschen Presse“ vom 31. Mai 1948 nannte, herbeizuführen. [Da die „Walsroder Zeitung“ erst ab Mitte 1949 wieder erscheinen konnte, finden sich Artikel zur Verleihung des Stadtrechts nur in überregionalen Blättern.] Angesichts der bedrückenden wirtschaftlichen Lage und der zu bewerkstelligenden Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen war es verständlich, dass die Walsroder anstrebten, auf diesem Weg die Position der Stadt langfristig zu stärken und ihr neue Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Doch aus den gleichen Gründen konnte Fallingbostel schwerlich auf den Kreissitz verzichten. Unter Hinweis auf die lange Tradition als Verwaltungssitz lehnten die Fallingbosteler deshalb den Vorstoß aus der Nachbarstadt ab. Sie fühlten sich ihr keineswegs unterlegen. In einem Vermerk stellte die Gemeindeverwaltung fest: „Fallingbostel ist ein Dorf mit städtischem Einschlag, Belangen und Leben, ein städtisches Dorf. Walsrode eine dörfliche Stadt.“ Mit Zweidrittelmehrheit lehnte es der Kreistag im September 1948 ab, Walsrode zur Kreisstadt zu erheben. Auch dem danach von der Stadt beim Innenministerium gestellten Antrag, Walsrode zumindest die Bezeichnung „Kreisstadt“ zu verleihen, war kein Erfolg beschieden.
Für Bürgermeister Dietrich Nülle dürfte diese unerquickliche Diskussion der letzte Anstoß gewesen sein, in der Frage des Stadtrechts für Fallingbostel etwas zu unternehmen. Wohl zu Recht vermutete die „Hannoversche Presse“ am 14. April 1949, in dem „Wettstreit zwischen Walsrode und Fallingbostel um die Kreisstadtwürde“ den wesentlichen Beweggrund für den Schritt Dietrich Nülles gefunden zu haben. Der Sozialdemokrat Nülle war stets ein überzeugter Sachwalter der Interessen Fallingbostels. Er scheute in dieser Frage weder den Konflikt mit dem politischen Gegner noch mit den eigenen Parteigenossen im Kreistag oder in der Nachbarstadt Walsrode. Am 17. August 1948 erläuterte er dem Gemeinderat ausführlich die Möglichkeiten über die Verleihung des Stadtrechts. Einstimmig verabschiedeten die Gemeinderäte einen Antrag, der bereits am folgenden Tag an das Staatsministerium des Innern in Hannover abgeschickt wurde.
In ihrem am Tag nach dem Ratsbeschluss an das Staatsministerium des Innern in Hannover gerichteten Gesuch untermauerte die Gemeinde ihr Bestreben mit einer kurzgefassten Darstellung ihrer 1.000jährigen Geschichte. Betont wurde besonders, dass Fallingbostel stets Sitz einer unteren Verwaltungsbehörde war und bei der Gemeinde immer ein großes Interesse an öffentlichen Einrichtungen wie dem Katasteramt und der Sparkasse bestand. Aber man beließ es nicht bei einem Blick in die Vergangenheit, sondern versicherte: „Heute besitzt Fallingbostel durchaus städtischen Charakter.“ Der Verweis auf die gut ausgebauten Straßen mit moderner Straßenbeleuchtung, die Kanalisation der Hauptstraßen, das Gaswerk, die modernen Hotels und Pensionen, die herrlich in der Lieth gelegene Badeanstalt, das Vorhandensein von Behörden, Sparkasse und anderen Dienststellen, die gute Versorgung mit Ärzten und die sprunghaft gestiegene Bevölkerung sollten den Anspruch des Luftkurortes auf das Stadtrecht unterstreichen. „Apotheke, Mütterheim, Jugendherberge, modernes Lichtspieltheater, Volkshochschule und Kindergarten beherbergt Fallingbostel ebenfalls in seinen Mauern.“ Mit Volksschule und Mittelschule stellte sich auch das Schulwesen städtisch dar.
Dann kam der Antrag auf die Pläne der Bezirksregierung zu sprechen: „Für den Fall, dass der ehemalige Truppenübungsplatz, der direkt an Fallingbostel grenzt, von der Besatzungsmacht freigegeben wird, hat sich der Gemeinderat von Fallingbostel bereits einstimmig bereit erklärt, die sogenannte 'Tote Stadt' einzugemeinden. Tausende von Heimatlosen würden dann eine neue Heimat finden und zahlreiche kleinere Industrien, die dort ebenfalls untergebracht werden könnten, würden Arbeitsmöglichkeiten bieten. Fallingbostel bekäme dadurch einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung.“
Dieser Einschätzung schlossen sich die anderen am Verfahren beteiligten Stellen vorbehaltlos an. Oberkreisdirektor Knoke unterstrich am 18. September 1948 in einem Schreiben an das Niedersächsische Innenministerium, der zweitgrößte Ort im Kreis habe durch die „ständige günstige Entwicklung“ durchaus den Charakter einer Kleinstadt. Durch die geplante Wiederbesiedlung der „Toten Stadt“ (gemeint waren damit die leerstehenden Lager in Oerbke) seien alle Voraussetzungen für eine weitere Aufwärtsentwicklung gegeben. Auch die Bezirksplanungsbehörde stimmte am 5. Oktober 1948 in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten dem Antrag zu: „Erscheinungsbild und Entwicklungsmöglichkeiten, insbesondere in Verbindung mit dem ehemaligen Wehrmachtslager, rechtfertigen die Verleihung des Stadtrechtes.“ In einem Vermerk des Innenministeriums vom 18. März 1949 fanden sich die verschiedenen Stellungnahmen zu einem positiven Urteil zusammengefasst: „Gegen den Antrag bestehen keine Bedenken, da die Gemeinde Fallingbostel nach Struktur, Siedlungsform, Gebietsumfang und Einwohnerzahl (zur Zeit etwa 4.700 Einwohner) tatsächlich Stadtgepräge hat. Auch sind die für eine Stadt erforderlichen sozialen Einrichtungen vorhanden. Es ist ferner auch zu berücksichtigen, daß Fallingbostel Sitz der Kreisverwaltung des Landkreises Fallingbostel ist. Das Niedersächsische Amt für Landesplanung und Statistik in Hannover befürwortet ebenfalls den Antrag, da die gewünschte Belebung Fallingbostels durch Erhebung zur Stadt nur gefördert wird. Die Entscheidung wird nach Ansicht der Landesplanung noch dadurch erleichtert, daß die für die Erhebung einer Gemeinde zur Stadt notwendigen Vorbedingungen gegeben sind.“
Seit dem 1. April 1949 ist Fallingbostel Stadt
Am gleichen Tag, als dieser Vermerk gefertigt wurde, unterzeichnete der Niedersächsische Innenminister Borowski die Stadtrechtsurkunde. Legten die im 14. Jahrhundert für Rethem (1353), Walsrode (1383) und Soltau (1388) ausgefertigten Stadtrechtsurkunden in zum Teil umfangreichen Katalogen genau fest, welche Rechte und Pflichten im Einzelnen die neue Stadt und ihre Bürger erhielten beziehungsweise zu erfüllen hatten, so wirkte die Stadtrechtsverleihung 1949 an Fallingbostel eher wie ein nüchterner Verwaltungsakt: „Auf Grund des § 9 der Neuen Deutschen Gemeindeordnung in Verbindung mit der Verordnung Nr. 57 der Militärregierung und meinem Erlaß vom 16. Januar 1948 - III/1 Nr. 3804/47 und 86/48 - verleihe ich hiermit der Gemeinde Fallingbostel, Landkreis Fallingbostel, die Bezeichnung Stadt mit Wirkung vom 1. 4. 1949. Hannover, den 18. März 1949. Der Niedersächsische Minister des Innern. Borowski.“ So lautete der schlichte Text der bedeutsamen Urkunde.
Im Laufe der Zeit hatte sich die Bedeutung des Stadtrechts geändert. Gewährte das Stadtrecht im 14. Jahrhundert noch Privilegien, die für die Bewohner der umliegenden Weiler und Dörfer keine Gültigkeit besaßen, so hatten die Verwaltungsreformen seit dem 19. Jahrhundert auf formaler Ebene zu einer Angleichung der Verhältnisse in Stadt und Land geführt. „Stadtluft macht frei“, dieser Rechtssatz charakterisierte gemeinhin die besondere Rolle, die einstmals den Städten zukam – wobei anzumerken bleibt, dass diese Aussage in unserer Region nur bedingte Gültigkeit besaß. Noch um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren beispielsweise eine ganze Reihe der Soltauer Einwohner dem Landesherren eigenhörig, hatten also nicht die persönliche Freiheit und wohl auch nicht das Bürgerrecht erworben. Die Geschichtswissenschaft spricht in solchen Fällen von „Minderstädten“. Dieter Brosius hat sie in seinem Beitrag zum Buch „Soltau 1388-1988“ so beschrieben: „Diese Minderstädte, typische Produkte der Zeit zwischen 1350 und 1500, haben eine Mittelstellung zwischen den ländlichen Flecken und Märkten einerseits, bei denen von Stadtcharakter noch nicht die Rede sein kann, und den voll ausgebildeten Kleinstädten andererseits, denen sie hinsichtlich ihrer Rechte und Privilegien zwar ebenbürtig sind, nicht aber hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft.“
Fallingbostel, an Einwohnerzahl Walsrode und Soltau unterlegen und nicht derart strategisch exponiert wie das an der Grenze des Herzogtums Lüneburg an einem wichtigen Flussübergang liegende Rethem, war trotz seiner Rolle als ständiger Verwaltungssitz ohne Stadtrecht geblieben. Erst 1949 wurde dieser, wie viele Beteiligte meinten, längst überfällige Schritt nachgeholt. Zu diesem Zeitpunkt ging die Verleihung der Bezeichnung Stadt nicht mehr mit einem Zuwachs an Bürgerrechten einher. Das hätte dem demokratischen Grundsatz der Gleichheit aller widersprochen. Allerdings erfuhr die kommunale Selbstverwaltung der jungen Stadt eine Stärkung, da sie Aufgaben übernehmen konnte, die zuvor dem Landkreis zustanden. Mehr Bürgernähe und mehr Zuständigkeiten – vor allem auf dem Gebiet der Auftragsangelegenheiten, für Fallingbostel und seine Bewohner wichtige Aspekte der Stadtrechtsverleihung.
Das Stadtwappen
Zufriedenheit waltete in Fallingbostel darüber, dass, wie im Rechenschaftsbericht von Bürgermeister Neddenriep vom 30. Oktober 1952 hieß, die „Bedeutung unseres kommunalen Gemeinwesens innerhalb des Kreises“ die staatliche Anerkennung gefunden habe. Zu dem sich nach außen hin bekundenden Selbstbewusstsein zählte ebenfalls, dass sich Fallingbostel noch als Gemeinde um ein Wappen bemühte. Der Gemeinderat hatte sich am 9. November 1948 ursprünglich dafür ausgesprochen, die Sieben Steinhäuser, zwei gekreuzte Pferdeköpfe, einen Bienenkorb und ein geschwungenes Querband in das Wappen aufzunehmen. Dieser Entwurf fand jedoch nicht die erforderliche Zustimmung des Niedersächsischen Staatsarchivs, da er mit zu vielen Symbolen überfrachtet war. Am 11. Februar 1949 entschied sich der Gemeinderat für die Annahme eines Wappens, das im oberen Teil zwei gekreuzte Pferdeköpfe silbern auf rotem Grund, im unteren Teil auf Silber einen schwarzen Bienenkorb und darunter eine blaue Wellenlinie zeigte. Pferdeköpfe waren traditionell an den Giebeln aller alten niedersächsischen Bauernhäuser zu finden, der Bienenkorb verdeutlichte die emsige Sparsamkeit, die seit der Gründung der Sparkasse 1838 waltete – weshalb die Sparkasse den Bienenkorb auch als ihr Symbol wählte –, und die Wellen erinnerten an die Böhme.
Übergabe der Stadtrechtsurkunde am 13. April 1949
Am 13. April 1949 fand die feierliche Überreichung der Stadtrechtsurkunde im Kinosaal des Hotels zum Böhmetal statt. In aller Eile war diese außerordentliche – und zugleich letzte – Sitzung des Gemeinderats anberaumt worden, da die Mitteilung über die Annahme des Antrages erst Anfang April aus Hannover die neue Stadt erreicht hatte. Musikalisch ausgestaltet von dem gemischten Chor der Fallingbosteler Chor- und Orchestervereinigung vollzog sich im überfüllten Saal die Zeremonie. Landrat Dr. Neddenriep überreichte vor zahlreichen geladenen Gästen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens die vom Niedersächsischen Innenminister ausgestellte Urkunde. Bürgermeister Nülle ging in seiner Rede auf die Geschichte Fallingbostels ein, das sich aus einigen wenigen Bauernhöfen zu einem „idyllisch-gelegenen kleinen Landstädtchen“ entwickelt habe. Er erwähnte aber auch die durch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen für den Ort hervorgerufenen Probleme. Doch Nülle blieb zuversichtlich, die vielfältigen Aufgaben meistern zu können. Er schloss mit den Worten: „Daß diese Entwicklung auch unter dem Stadtrecht andauern und Fallingbostel weiter an Bedeutung zunehmen möge, ist wohl unser aller Wunsch. Möge Fallingbostel aber bleiben, was es immer war, das Paradies der Heide!“ Mit dem eigens von Wilhelm Asche komponierten „Heimatlied“ klang die eindrucksvolle Feierstunde aus, an die sich ein Bankett anschloss. Den Text des Liedes druckte die „Niederdeutsche Zeitung“ in ihrem Beitrag vom 21. April 1949 leider nicht ab.