Archivalie des Monats November 2024: Fallingbostel als »Zierde der Heide« auf Notgeld mit Löns-Gedichten aus dem Jahr 1921
Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wegen Rohstoffmangels kleinere Münzwerte nicht mehr geprägt werden konnten, wurde in der Ausgabe von Notgeldscheinen ein Ausweg gesucht. Auf dem 70-Pfennig-Schein einer aus insgesamt sechs Werten bestehenden Serie, bei der auf der Vorderseite Löns-Gedichte abgedruckt waren, wurde 1921 Fallingbostel als „Zierde der Heide“ bezeichnet. Abgebildet waren dazu die Sieben Steinhäuser.
Notgeldscheine wurden von Banken, Sparkassen, Städten, Gemeinden, Kreisen und Privatfirmen ausgegeben. Die Scheine selbst waren dabei oftmals künstlerisch gestaltet, wobei häufig Bezugnahmen zu örtlichen Ereignissen, Gebäuden, Sehenswürdigkeiten und Landschaften zu finden waren. Die lokale Verbindung wurde zum Teil auch durch die Verwendung des lokalen Dialekts hergestellt wurde.
Zu den Herausgebern von Notgeld zählte die 1896 in Heide (Dithmarschen) gegründete, bis 1943 bestehende Westholsteinische Bank. Aus den Geschäftsberichten, die über die Homepage des „ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft“ aufgerufen werden können, geht hervor, dass die Bank in jener unruhigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bestrebt war, ihren zunächst regionalen Wirkungskreis durch eine Ausdehnung in die Provinz Hannover zu vergrößern. Dem Geschäftsbericht für das Jahr 1921 ist zu entnehmen, dass „das bedeutende Anwachsen unseres Geschäfts“ den „Erwerb mehrere Grundstücke, sowie manche An- und Umbauten“ bedingte: „Neue Grundstücke erwarben wir in Altona Große Elbstraße und Schillerstraße, in Bredstedt, Flensburg, Glückstadt, Schleswig und Soltau, sodaß wir jetzt insgesamt 36 Bankgrundstücke besitzen.“
Um an einem neuen Standort wie Soltau Fuß fassen zu können, lag es nahe, bei der Herausgabe von Notgeldscheinen mit einem Partner vor Ort, wie dem Heimatbund Lohengau, zu kooperieren. Der Lohengau (andere Schreibweise Loingau) war „keine naturräumliche Einheit, sondern ein künstliches staatspolitisches Gebilde, welches bei der Errichtung fränkischer Grafschaften durch Karl den Großen entstanden ist“ (Alfred Keseberg). Er umfasste Teile des heutigen Landkreises Celle und der ehemaligen Landkreise Fallingbostel, Soltau und Burgdorf. Mitbegründer und Vorstandsmitglied war Adolf Arnold (1873-1953) der 1926/27 als Redakteur für die Monatsschrift „Die Heide“ und später für die Soltauer „Böhme-Zeitung“ tätig war.
Nicht nur die Auswahl von sechs, auf der Rückseite der Notgeldscheine genannten Heideorten – Wilsede, Buchholz in der Nordheide, Fallingbostel, Walsrode, Soltau und Lüneburg –, sondern auch der ganze oder teilweise Abdruck von Gedichten von Hermann Löns auf der Vorderseite trugen zusammen mit der plattdeutschen Erläuterung der Ausgabemodalitäten zur lokalen Verankerung bei.
Löns wurde dabei so eng mit der Heide verbunden, dass sogar der Ausgabetag auf ihn Bezug nahm: „Düsse Notgeldschien von’n Heimatbund Lohengau, für den du di in’n Lüneborgschen för 50 [bzw. auf den anderen Scheinen 60, 70, 80, 90, 100] Penn wat kömpen kannst, ward bit to’n End 1921 inlöst von de Westholsteinsche Bank, Abteilung Soltau. Utgäven in Soltau an Löns sin Dodesdag.“ Löns war am 26. September 1914 bei Loivre gefallen, so dass die Notgeldscheine am 26. September 1921 ausgegeben wurden.
Das oftmals verwendete Bild von Löns als Jäger, eine Karte des Geschäftsbereichs, in dem die Westholsteinische Bank tätig werden wollte, das für die Provinz Hannover stehende Sachsenross, der Heideschäfer mit seiner Herde in der typischen Wacholderlandschaft, die umrahmenden Heidegirlanden und die an den Hausgiebeln der Bauernhöfe zu findenden gekreuzten Pferdeköpfe greifen auf der Rückseite all das auf, was als charakteristisch für die Lüneburger Heide empfunden wurde.
Dies bildet den Hintergrund für den Abdruck von jeweils zweimal vier Gedichtzeilen von Hermann Löns, die auf der Vorderseite ganz oben einander gegenübergestellt sind. Aus Platzgründen sind die Gedichte nicht vollständig. In einzelnen Zeilen mussten sogar Kürzungen vorgenommen werden, um den Druckbereich nicht zu überschreiten. Deshalb werden bei der Vorstellung der einzelnen Notgeldscheine Angaben zu den vorgenommenen Streichungen gemacht.
Die Ortsmotive auf der Rückseite sind mit „Kleinschmidt“ beziehungsweise „W. Kleinschmidt“ gezeichnet. Näheres konnte zu dem Gestalter der Notgeldscheine noch nicht ermittelt werden.
Notgeldschein über 50 Pfennige
Gedichttext von Hermann Löns auf der Vorderseite:
Lass deine Augen offen sein, / Geschlossen deinen Mund / Und wandle still, so werden dir / Geheime Dinge kund.
Dann weisst du was der Rabe ruft / Und was die Eule singt, / Aus jedes Wesens Stimme dir / Ein lieber Gruss erklingt.
Es handelt sich um die Verse 2 und 3 aus dem Gedicht „Höret!“ aus „Mümmelmann und andere Tiergeschichten“-
Vers 1:
Es gibt nichts Totes auf der Welt, / Hat alles sein‘ Verstand, / Es lebt das öde Felsenriff, / Es lebt der dürre Strand.
Notgeldschein über 60 Pfennige
Gedichttext von Hermann Löns auf der Vorderseite:
Denn Jagen, das ist Pürschen / Im heimlichstillen Wald. / Und Jagen, das ist Schleichen / In Heideeinsamkeit.
Und Jagen, das ist Schweifen / In Moorunendlichkeit, / Ist Harren hinter Klippen, / Ist Lauern an dem Strand.
Abgedruckt wurden die mittleren 4 Verse (zu jeweils 2 Zeilen) des Gedichts „Der Jäger“ aus „Kraut und Lot“
Anfangsvers:
Der weiß es nicht, was Jagen ist, / Der nur im Felde knallt;
Schlussvers:
Wer nur im Wald zu jagen weiß, / Hat nie die Jagd gekannt.
Notgeldschein über 70 Pfennige
Gedichttext von Hermann Löns auf der Vorderseite:
Auf meinem Grabe soll stehen kein Stein, / Kein Hügel soll dorten geschüttet sein, / Kein Kranz soll liegen, da, wo ich starb / Keine Träne fallen, wo ich verdarb.
Will nicht mehr hören und nichts mehr sehn, / Wie ein totes Getier will ich vergehn. / Und darum kein Kranz und kein Stein, / Spurlos will ich vergangen sein.
Es handelt sich um die letzten beiden Verse des Gedichts „Abendsprache“
Vers 1 und 2:
Und geht es zu Ende, so laßt mich allein / Mit mir selber auf einsamer Heide sein; / Will nichts mehr hören und nichts mehr seh’n, / Will wie ein totes Getier vergeh’n.
Das graue Heidemoos mein Sterbebett sei, / Die Krähe singt mir die Litanei. / Die Totenglocken läutet der Sturm, / Begraben werden mich Käfer und Wurm.
Notgeldschein über 80 Pfennige
Gedichttext von Hermann Löns auf der Vorderseite:
Rosmarienheide zur Maienzeit blüht, / Rosmarienheide erfreut das Gemüt, / Rosmarienheide ist lieblich und zart, / Rosmarienheide ist eigener Art.
Anna, Marianna, wo bist du, mein Lieb, / Anna, Marianna, der Wind dich vertrieb, / Anna, Marianna, dein Herz das ging tot, / Anna, Marianna, in Kummer und Not.
Ausgewählt wurden die Verse 1 und 4 des Gedichts „Verloren“ aus dem „Kleinen Rosengarten“
Verse 2 und 3:
Anna, Marianna, wo bist du, mein Lieb, / Anna, Marianna, der Wind dich vertrieb, / Anna, Marianna, du zogst in die Stadt, / Anna, Marianna vergessen mich hat.
Rosmarienheide blüht wieder im Moor, / Rosmarienheide die Farbe verlor, / Rosmarienheide zum zweiten Mal blüht, / Rosmarienheide erfreut kein Gemüt.
Notgeldschein über 90 Pfennige
Gedichttext von Hermann Löns auf der Vorderseite:
Wenn ich meine Schafe weide, / Hier auf dieser braunen Heide, / Mutterseelenallein, allein / Schatz, dann denk ich dein.
Wenn die Sonne geht hernieder, / Wenn sie morgens kehret wieder, / Mutterseelenallein, allein / Schatz dann denk ich dein.
Die Verse 1 und 4 des Gedichts „Schäferlied“ sind wiedergegeben, in Vers 1 wurden allerdings die beiden ersten Zeilen vertauscht und aus Platzgründen konnten vor „Mutterseelenallein“ das „Ganz“ und vor „Schatz“ das „Mein“ nicht abgedruckt werden.
In der Fassung des „Kleinen Rosengarten“ lautet das vollständige Gedicht so:
Hier auf dieser braunen Heide, / Wenn ich meine Schafe weide / Ganz mutterseelenallein allein, / Mein Schatz, dann denk ich dein.
Wenn die Lerche lustig singet, / Sich hinauf zum Himmel schwinget, / Ganz mutterseelenallein allein, / Mein Schatz, dann denk ich dein.
Wenn der Tauber ruft sein Weibchen, / Sein geliebtes Turteltäubchen, / Ganz mutterseelenallein allein, / Mein Schatz, dann denk ich dein.
Wenn die Sonne geht hernieder, / Wenn sie morgens kehret wieder, / Ganz mutterseelenallein allein, / Mein Schatz, dann denk ich dein.
Notgeldschein über 100 Pfennige
Gedichttext von Hermann Löns auf der Vorderseite:
Scheidewind weht auf der Heide, / Meidewind weht in dem Moor; / Ich suche und suche die Stelle, / Wo ich mein Herz verlor.
Ich suche und suche / Und suche wohl hin und wohl her; / Ich höre und höre es klopfen, / Und finde es nimmermehr.
Die Wahl fiel auf die Verse 1 und 3 des Gedichts „Irrkraut“ aus dem „Kleinen Rosengarten“
Vers 2:
Hier war es, wo ich es verloren, / Es muß doch hier irgendwo sein; / Es liegt hier im Laube und Moose / So mutterseelenallein.
Vers 4:
Scheidewind flüstert im Laube, / Meidewind flüstert im Gras; / Irrkraut wächst auf der Stelle, / Wo ich mein Herz vergaß.