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Archivalie des Monats April 2025: Das Rauchhaus in der Vogteistraße

Bei der Befreiung durch britische Einheiten am 16. April 1945 kam Fallingbostel relativ glimpflich davon. Zwar verloren Milchhändler Mahnke, Bauer Hohls und zwei deutsche Soldaten ihr Leben, aber bei den Kämpfen um den Allerbrückenkopf in Rethem hatte es weitaus mehr Tote gegeben. Auch einige Häuser wurden in Fallingbostel zerstört oder in Brand geschossen. Dazu zählte auch das dreihundert Jahre alte Rauchhaus in der Vogteistraße, das durch sein Reetdach ein schnelles Opfer der Flammen wurde. 

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Postkarte vom 1945 zerstörten Rauchhaus in der Vogteistraße

Was unter einem Rauchhaus zu verstehen ist, hat der Volkskundler Eduard Kück in seinem Buch „Das alte Bauernleben in der Lüneburger Heide“ 1906 beschrieben. Eduard Kück (1867-1937) war nach dem Studium der klassischen Philologie zunächst in verschiedenen deutschen Städten im höheren Schuldienst tätig.  Er befasste sich aber nicht nur mit den klassischen Sprachen, sondern hatte schon von Jugend an ein großes Interesse an der niederdeutschen Sprachwissenschaft und der Volkskunde der Lüneburger Heide. Diesen Themen widmete er sich in zahlreichen Veröffentlichungen. Als sein Hauptwerk gilt das in drei Bänden nach allerdings erst nach seinem Tod erschienene „Lüneburger Wörterbuch“.

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Titelseite aus Eduard Kücks 1906 erschienenem Buch über "Das alte Bauernleben in der Lüneburger Heide"

Ein Standardwerk wurde auch sein Buch „Das alte Bauernleben in der Lüneburger Heide.“ Die von ihm 1906 in Verbindung mit dem Deutschen Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatspflege herausgegebenen „Studien zur niedersächsischen Volkskunde“ – so der Untertitel des Bandes – sind bis heute als Neuausgabe, als Reprint oder als Digitalisat zugänglich. In diesem Standardwerk gibt es auch einen Abschnitt über „Eigenes Haus und eigener“ Herd, aus dem die folgenden Ausführungen über die große offene, von einem von einem rahmenähnlichen Holzwerk, dem Rehmen überspannte Feuerstelle stammen. Kücks Ausführungen machen das Leben nachvollziehbar, wie es im Rauchhaus in der Vogteistraße – aber auch früher im „Hof der Heidmark“ – war.

Bild vergrößern: Zur Erläuterung gab Kück seinen Ausführungen diese Abbildung von Feuerstelle mit Rehmen bei
Zur Erläuterung gab Kück seinen Ausführungen diese Abbildung von Feuerstelle mit Rehmen bei

Der Vorplatz war mit kleinen, oft bestimmte Muster bildenden Feldsteinen gepflastert. In seiner Mitte lag die große Feuerstätte (Für-stä), von einem rahmenähnlichen Holzwerk, dem Rehmen1 überdeckt. Der Rehmen bestand zunächst aus zwei Balken, die von der Stubenwand her gleichlaufend 3-4 Meter vorstießen und voneinander im lichten Raum etwa 30 Centimeter entfernt waren. Sie bildeten mit den entsprechenden Stubenbalken ein Stück, lagen auf der Kante und waren vorn durch mehrere aufrechte Riegel an dem starken Balken befestigt, der, von zwei Höftständern getragen, sich von der einen Seitentür zur anderen zog. Beide Balken liefen in einen Pferdekopf oder in einen gekerbten Stern2 aus. Über diesen Balken ruhte vorn, etwa ½ Meter von den Pferdeköpfen oder Sternen entfernt und ebenfalls auf der Kante liegend, ein Querbalken. Ein zweiter Querbalken, gewöhnlich ein runder, war etwa über die Mitte gelegt. Dieser hatte in der Mitte eine Kerbe, in der ein Ring lag; an dem Ringe hing der verschiebbare eiserne Kesselhaken (Ketel-Haken)3 mit dem Kessel, in dem für Menschen und Vieh gekocht wurde. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts haftete dem Kesselhaken wenigstens hier und da etwas von der Verehrung der uralten Zeit an; so kannte man in der Raubkammer noch den Brauch, Kesselhaken als Grenzmarken zu verwenden und sie auch bei einem Neubau nicht von der Stelle zu rücken, und ebenso alt ist der in derselben Gegend damals noch bekannte Glaube, daß das Herdfeuer niemals erlöschen dürfe und sein Erlöschen ein Unglück bedeute.4 Auf dem Gebälk des Rehmens standen Säcke mit Bratbirnen und Zwetschen, auch eine Tonne Salz. In den Stirnbalken waren vorn gewöhnlich einige Zapfen eingelassen; an diesen hingen Eimer, Kartoffelkörbe, auch die naßgewordenen Kleider, Stiefel und Schuhe. Bei den Hochzeiten fegte wohl ein Spaßvogel nach den Ehrentänzen den Rehmen mit dem Besen rein und schrieb mit Kreide an, was das junge Paar den Eltern als Altenteil zu geben habe, etwa „Das beste Stück Fleisch" u. s. w. An einem in das Gebälk eingeschlagenen Nagel hing der Krüsel. Quer über den Längsbalken lagen oft Kienklötze, die zwischen dem Torfe gefunden waren und aus denen die zum Leuchten verwendeten Kienspäne geschnitzt wurden. In der Nähe des Herdes war auf dem Fußboden ein dicker Kranz aus Haferstroh festgebunden, auf den der schwere, heiße Kessel nach dem Aushaken gesetzt wurde; so blieben Kessel und Flett un­beschädigt. Der Boden oberhalb des Rehmens, de Für-boen (Feuerboden), war entweder, wie erwähnt, „unterwellert", oder die Bretter waren mit Hülfe von Nuten und entsprechenden Ausfüllungsteilen so fest zusammengeschlagen (in-sloept, eingeschleift), daß die stiebenden Funken und das Licht kein Unglück anrichten konnten.

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Das Rauchhaus in der Vogteistraße war bis zur Zerstörung 1945 bewohnt. Es diente zum Wurst-, Speck- und Schinkenräuchern

Der Herd bestand aus Feldsteinen, die aufgehäuft waren und in der Mitte ein Loch für das Feuer freiließen. Späterhin wurde der Rand gern rund mit Lehm- oder Ziegelsteinen gemauert, um diese legte man einen alten Wagenreifen und gab so dem Ganzen festen Halt. Nach der Mitte zu senkte sich der Herd trichterförmig, und in einiger Vertiefung war ein Rost angebracht. hinter der Auffassung war ein schräg nach dem Rost führendes Loch (Aschen-lock) zum Zuführen des Zuges und zur Beseitigung der Asche gegraben; in dem Loch stand ein Aschen-putt, über ihm lag gewöhnlich ein Brett. Neben dem erwähnten großen Kessel hatten die Frauen mehrere kleinere, mit Füßen versehene Grapen, die zum Warmhalten der Speisen dienten und unmittelbar auf das Feuer gesetzt wurden, auch einen Teekessel, den sie gelegentlich statt des großen Kessels über das Feuer hängten. In anderen Häusern hingen ständig zwei große Kessel über der Feuerstätte.

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Postkarte von der Feuerstelle des "Hofes der Heidmark"

An dieser Stelle, ünner den Rehmen, spielte sich vorzugsweise das häusliche Leben ab. Hier schaffte die Frau, gleichzeitig über Diele und Hof spähend und das Gesinde beaufsichtigend, hier spielten und lernten die Kinder, hier spannen und plauderten die Mägde, hier fanden sich nach dem Abendessen auch der Bauer und die Knechte ein, zumal im Winter, da der Stubenofen, wenn überhaupt einer vorhanden war, nur selten geheizt wurde, hier lauschte man im Rauch und beim Licht eines Kienspans, der in einem am Rehmen befestigten Stück Blech steckte, und später des Krüsels den Rätseln, Döntjen, Kriegs- und Spukgeschichten. Allmählich war dann das Feuer heruntergebrannt. Die Frau warf noch einen Torfsoden oder etwas losen Torf ins Feuerloch, berakte ihn mit Asche und deckte zum Schutz gegen Katzen und HHühner und gegen auffliegende Funken den großen trichterförmigen eisernen Stülper darüber. Für gewöhnlich glimmte am anderen Morgen das Feuer noch; andernfalls entnahm die Frau, der stets diese Arbeit zufiel, zum Feueranmachen der Zunderlade (Tunner-la) Stahl, Stein und Zunder; später kamen statt des Zunders die etwa 15 Centimeter langen, auf beiden Seiten mit Schwefel versehenen Swevelsticken auf.

Bild vergrößern: Auch der "Hof der Heidmark" war ein Rauchhaus. Der kleine Schornstein kam erst später hinzu als es im Wohntrakt einen Ofen gab
Auch der "Hof der Heidmark" war ein Rauchhaus. Der kleine Schornstein kam erst später hinzu als es im Wohntrakt einen Ofen gab

Der Rauch zog durch die Seitentüren, die Große Tür oder die Giebellöcher (Ulen-löcker, Eulenlöcher) ab, je nach der Windrichtung. Schornsteine fehlten noch,5 abgesehen von den nichtbäuerlichen Häusern, etwa den Lehrerhäusern. In diesen befand sich über dem offenen Herde nicht selten ein Rauchmantel, etwa von der Form eines kleinen schrägen Daches, der den Rauch nach Möglichkeit aufnehmen und dem Schornstein zuführen sollte. Gewöhnlich überließ man den Rauch sich selber; wurde er zu schlimm, so öffnete man die obere Hälfte6 einer Seitentür. Der Rauch räucherte die Schinken, Speckseiten und Würste, die unter dem Flettboden an einem Stangengerüst (in 'n Wiemen) hingen, wärmte das Vieh und schützte die Getreidevorräte, zu denen er durch die Luke und die Bodenritzen drang, daß sie nicht feucht (slummig) wurden. Er war zugleich Wetterprophet; sein Verweilen im Hause deutete auf Regen, ebenso sicher wie der vom Boden träufelnde Ruß (Sott) oder die gleich Nadelspitzen auf dem Ruß unten am Grapen sitzenden Funken. Er schwärzte das Stroh des Daches und gab dadurch im Winter den langen Eiszapfen (Is-joekels) ihr gelbbraunes Aussehen.

Etwa bis 1840 kannte man nur den runden Herd in der Mitte. Damals wurde in den meisten Häusern ein Feuerherd mit einem Kesselhaken daneben errichtet. Er wurde an der Dönzenwand7 aufgemauert, und zwar immer so, daß das Loch des Stubenofens auf ihn mündete; der Ofen wurde vom Herde aus geheizt, eine eiserne Stehtür mit Gegenständer schloß das Loch, ein Abzugsloch oben im Ofen mündete nach dem Flett. Fortan wurde das Essen für die Familie auf dem Wandherd bereitet, während der große Kessel unter dem Rehmen für Viehfutter und Börnwasser, beim Schlachten und bei der Wäsche Benutzung fand. Auf dem Wandherde waren sehr häufig zwei Roste. Auf dem einen wurde dauernd das Feuer unterhalten; der zweite diente zur Aushülfe: Kohlen wurden vom ersten Rost fortgenommen und auf ihn gerührt, und man kochte dann auf einem Stridden (mnd. stridde) oder Dre-fot, einem runden oder dreieckigen Untersatz.

Der Wandherd der größeren Läufer war gewöhnlich breit und offen; kleine Leute pflegten ihren Bedürfnissen entsprechend einen weniger breiten Wandherd zu haben, dafür ließen sie aber auf ihn nicht selten einen verschließbaren, Hühner und Katzen vom Feuer fernhaltenden Aufsatz mauern; auch größere Wandherde sind hier und da mit einem natürlich entsprechend größeren Aufsatz versehen worden.

1) Mnd. reme oder rame bedeutet eigentlich „Rahmen" und ist dann auf dieses rahmenartige Balkenwerk übertragen worden.

2) Derselben Abwechslung begegneten wir bei der Giebelverzierrung.

3) Eigentlich bezieht sich die Bezeichnung nur auf den schräg herabhängenden Laken, der, wenn die von ihm umgebene senkrechte Zahnstange höher oder tiefer geschoben werden soll, zuerst mit dem unteren Ende etwas emporgehoben und dann wieder gegen die inzwischen verschobene Zahnstange geschlagen wird. Daher erklärt sich der Ausdruck ênen (twê..) höger slan – (den Haken) um einen Zahn (zwei Zähne) höher schlagen, höher einstellen.

4) Diese wertvollen Nachrichten finden sich in dem mehrfach benutzten Aufsatz Beneckes (Lün. Anz. 10. 9. 1904). Der Kesselhaken begegnet als Grenzmarke im Lüneburgischen auch in Grimms Weistümern III S. 225, wo das Gaugericht in Salzhausen 1577 die Gaugrenze festsetzt: ... von dar in Brauwels kesselhacken zu Garstede (heute Garstedt), von dar nach dem einen hoffe zum Borstel in den kesselhacken.

5) Ein schornsteinloses Haus wird besonders seit dem Aufkommen der Schornsteine als Rük-Hus (Rauchhaus) bezeichnet.

6) De boewerste lütt Dör; die untere Hälfte hieß de nerste (nedderste) l. D.

7) Die Dönzenwand hieß davon auch Herdwand.

Aus: Eduard Kück: Das alte Bauernleben der Lüneburger Heide, Verlag von Theod. Thomas, Leipzig 1906, S. 189-193

01.04.2025