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Archivalie des Monats Mai 2025: Einkehr im »Schusterkrug« und in der »Waldwirtschaft zu den Sieben Steinhäusern«

Bis zur Anlegung des Truppenübungsplatzes Bergen gehörte ein Ausflug zu Fuß, per Rad, in einer Kutsche oder mit einem eigenen beziehungsweise gemieteten Automobil für die Urlauber zu einem Höhepunkt ihres Aufenthaltes in Fallingbostel. Einkehren konnten sie in der Nähe der Megalithgräber im „Schusterkrug“ und in der „Waldwirtschaft zu den Siebensteinhäusern“.

Bild vergrößern: Postwerbestempel aus dem Jahr 1937.
Postwerbestempel aus dem Jahr 1937.

Wie wichtig die Nähe zu den Sieben Steinhäusern für den Fremdenverkehr in Fallingbostel war, unterstreicht auch der Postwerbestempel: „Das Paradies der Heide“, wie der Luftkurort sich selbstbewusst in Anlehnung an eine Zeile in August Freudenthals Gedicht „Pfingstmorgen in der Lieth“ anpries, wurde von einer Zeichnung eines der Megalithgräber geschmückt. Tourenbeschreibungen zu den Sieben Steinhäusern durften deshalb in keiner der für die Touristen herausgegebenen Broschüren fehlen.

Bild vergrößern: In den 1920er Jahren posieren zwei Paare vor einem der Sieben Steinhäuser.
In den 1920er Jahren posieren zwei Paare vor einem der Sieben Steinhäuser.

Die Beschreibung des Weges für eine Wanderung von Fallingbostel über Oerbke zu den Sieben Steinhäusern ist zwar kurz, veranschlagt wurde aber eine Dauer von 6 Stunden für diese Tour. In dem um 1914 vom Fallingbosteler „Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs“ herausgegebenen Führer „Fallingbostel und seine Umgebung“ finden sich folgende Angaben: Weg bis Oerbke, 30 Min. Man geht durch das Dorf, biegt beim Wegweiser rechts ab bis Südbostel, dann zu den 7 Steinhäusern. Es sind dies große Grabdenkmäler aus deutscher Vorzeit. Die neue Wirtschaft von Brandes liegt etwas rechts zurück. Dieselbe Tour zurück nach Fallingbostel.

Bild vergrößern: Um 1920 fügte der "Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs" diese Tourenkarte seiner Broschüre bei. Die Sieben Steinhäuser befinden sich rechts unten.
Um 1920 fügte der "Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs" diese Tourenkarte seiner Broschüre bei. Die Sieben Steinhäuser befinden sich rechts unten.

Die Beschreibung der mit 31 km veranschlagten Radtour lautet im selben Führer: Vom Bahnhof links ab unter der Bahn durch zu schön gelegenen Dörfern Pröbsten und Hartem. Von hier aus am Brockhof vorbei nach Kolk. Von dort durch Südbostel zu den 7 Steinhäusern. Bei der Wegekreuzung biege man rechts ab und auf schönem Wege gelangt man nach Manhorn. Von Manhorn über den ersten Hof links durch eine der herrlichsten Heidelandschaften bis an die Chaussee Bergen-Fallingbostel. Dieser Weg, an prachtvollen Ginsterstrecken und Riesenwacholdern vorüber, bietet die schönste Aussicht auf den 150 Meter hohen Falkenberg. Auf der Chaussee zurück nach Fallingbostel.

Bild vergrößern: Per Kutsche konnten die Gäste zum Schusterkrug ohne die Strapazen eines mehrstündigen Fußmarsches gelangen.
Per Kutsche konnten die Gäste zum Schusterkrug ohne die Strapazen eines mehrstündigen Fußmarsches gelangen.
Bild vergrößern: Um 1914 bot auch Willy Ohlau Fahrten in seinem neuen Jagdwagen zu den Sieben Steinhäusern und anderen Zielen an.
Um 1914 bot auch Willy Ohlau Fahrten in seinem neuen Jagdwagen zu den Sieben Steinhäusern und anderen Zielen an.

Über die Geschichte des Südbosteler „Schusterkrugs“ informiert Hans Stuhlmacher in seinem 1939 erschienenen Buch „Die Heidmark“, S. 446-447. Demnach wurde die Abbauerstelle Haus Nr. 20 in Südbostel vom Häusling und Schuster Friedrich Otto Stege errichtet. Er kaufte 1845 den Bauplatz von zwei Morgen für 100 Taler vom Vollhöfner Johann Heinrich Söhnholz-Südbostel. 1864 besaß dann Heinrich Friedrich Stege, der Sohn des Erbauers, die Stelle, die er 1878 für 1300 Taler an Heinrich Christoph Wehrs verkaufte. Ihm folgte 1889 Heinrich Wehrs, dessen Schwiegersohn Adolf Imwiehe zuletzt die Stelle bewirtschaftete. Stuhlmacher hebt als Besonderheit hervor, dass der alte Drehbrunnen mit Eimer und Kette auf den Hof der Heidmark in der Fallingbosteler Lieth versetzt wurde.

Bild vergrößern: Um 1930 machten sich dann auch Automobilisten auf zum "Schusterkrug".
Um 1930 machten sich dann auch Automobilisten auf zum "Schusterkrug".

Wie auch immer der Weg zu dem Kulturdenkmal bewältigt wurde, auf eine Einkehr dürften die wenigsten Besucher verzichtet haben. Die beiden Gastwirtschaften inserierten regelmäßig auch in den Führern des Fallingbosteler Verkehrsvereins und in anderen Broschüren, waren die Sieben Steinhäuser doch auch für Gäste aus dem Bergener Raum ein interessantes Ausflugsziel.

Bild vergrößern: Anzeige des "Schusterkrugs" im Fallingbosteler Tourenführer um 1914.
Anzeige des "Schusterkrugs" im Fallingbosteler Tourenführer um 1914.
Bild vergrößern: Anzeige der "Waldwirtschaft zu den Siebensteinhäusern" im Fallingbosteler Tourenführer um 1914.
Anzeige der "Waldwirtschaft zu den Siebensteinhäusern" im Fallingbosteler Tourenführer um 1914.

Von der „Waldwirtschaft Sieben Steinhäuser“ weiß Hinrich Baumann in seinem Buch „Die Heidmark – Wandel einer Landschaft. Die Geschichte des Truppenübungsplatzes Bergen“, S. 80-81, mitzuteilen, dass der Bergener Gastwirt Brandes 1909 die Absicht hatte, in der Nähe der Megalithgräber ein Unterkunftshaus zu errichten. Es sollte die Form eines niedersächsischen Bauernhauses erhalten. Ein Jahr später konnte die Gastwirtschaft eingeweiht werden. Auch wenn sie – wie eine Werbeanzeige betonte – mit einem „feuersicherem Strohdach“ ausgestattet war, brannte sie 1933 aus nicht geklärter Ursache ab. Zu dem geplanten Wiederaufbau kam es allerdings nicht, denn Ende 1934 war bereits die Errichtung des Truppenübungsplatzes Bergen beschlossen.

Bild vergrößern: Ausführlich wurde über das Angebot der "Waldwirtschaft Siebensteinhäuser" in einer Anzeige informiert.
Ausführlich wurde über das Angebot der "Waldwirtschaft Siebensteinhäuser" in einer Anzeige informiert.

Die Bedeutung der „Waldwirtschaft Sieben Steinhäuser“ für den Fremdenverkehr, hob Eduard Gabain 1913 in seinem Buch „Bilder aus der Südheide“, S. 66-67, hervor: Der Anfang zur Kultivierung dieses Gebietes ist allerdings schon durch eine kleine Wirtschaft bei den Sieben Steinhäusern gemacht worden. Sie ist aber so dezent im Hintergrunde angelegt, dass das Landschaftsbild nicht stört, und da die Steinhäuser nun mal von einer Unmenge von Leuten besucht werden, so konnte die Bedürfnisfrage wohl kaum verneint werden. Die Einbuße, welche die Landschaft dadurch erleiden mag, ist nicht größer, als die Störung des Bildes durch ein Unterkunftshaus im Hochgebirge und auf jeden Fall geringer, als wenn eine Menschenhand zum ewigen Andenken an ihr Walten Butterbrotspapier, leuchtend weiße Eierschalen und glänzende Glassplitter auftürmt oder gar in unbezähmbaren Bedürfnis nach warmer Speise einen Waldbrand veranlasst.

Was Gabain verneinte, hatte 1910 Hermann Löns in seiner Erzählung „Das Naturdenkmal“ phantasievoll anschaulich gemacht. Aus heutiger Sicht erscheint Löns‘ Befürchtung, durch einen überhand nehmenden Tourismus könne die Landschaft Einbußen erleiden, keineswegs unberechtigt. Aber lesen Sie selbst die entsprechenden Abschnitte aus der Erzählung von Hermann Löns, mit der unsere Exkursion zu den Sieben Steinhäusern abgeschlossen wird:

Bild vergrößern: Einen "Gruss aus Südbostel" konnten die Sommerfrischler aus dem "Gasthaus zu den Sieben Steinhäusern" an die Daheimgebliebenen schicken.
Einen "Gruss aus Südbostel" konnten die Sommerfrischler aus dem "Gasthaus zu den Sieben Steinhäusern" an die Daheimgebliebenen schicken.

Meist kam das ganze Jahr kein Mensch zu ihnen, außer daß da einmal ein Förster rastete oder der Schnuckenschäfer an ihnen vorbeihütete. Ab und zu kamen auch Männer mit Brillen auf den Nasen an, gruben bei den Steinsetzungen herum, waren glücklich, wenn sie ein Steinmesser oder einen angebrannten Topfscherben fanden, zogen wieder ab und schrieben gelehrte Aufsätze über die Bedeutung der alten Bauten, deren Endergebnis lautete: „Nix genaues weiß man nicht.“ Auch pilgerten wohl einmal ein paar frische junge Burschen durch die Heide, betrachteten voller Ehrfurcht die klobigen Steinplatten, oder ein Dichter lag dort, lauschte, wie die Immen die rosenroten Glöckchen läuteten, sah den blauen Faltern zu, die über das blühende Heidkraut tanzten, atmete den Honigduft ein, den der heiße Wind herantrug, träumte von Hingst und Hors und Rappen und den übrigen langobardischen und sächsischen Männer, zu deren ewigem Gedenken die Grauen Steine aufeinandergelegt waren, und lächelte später lustig, wenn gelehrte Leute von dem Gedicht, das er über die Steinhäuser geschrieben hatte, sagten, es entspräche nicht dem Stande des wissenschaftlichen Forschung.

Bild vergrößern: Mit der Pferdekutsche ging's bequem zur Waldwirtschaft.
Mit der Pferdekutsche ging's bequem zur Waldwirtschaft.

Mit einen Male aber wurde das anders: die Heide kam in Mode. Es regnete Menschen, es hagelte Volk. Sie kamen, wenn die Heide blühte, in hellen Haufen angezogen, zu Fuß und zu Rad und zu Wagen, rissen das blühende Heidkraut ab, fragten den Schnuckenschäfer dumm und albern, gaben mit weißer, roter und blauer Kreide auf den grauen Steinen an, daß sie Meyer, Müller oder Schulze hießen und hinterließen stets eine Unmenge von Wurstpellen, Eierschalen, Stullenpapier, Stanniol, Konservenbüchsen und Flaschenscherben und manchmal auch einen kleinen Heidbrand, so daß der Oberförster eine Tafel aufstellen lassen mußte, auf der zu lesen stand, daß derjenige, welcher usw., mit nicht unter soundso viel Mark Strafe usw. Und Sonntags mußte ein Forstarbeiter dort Schildwache stehen. Dann kam ein neuer Oberförster, der eine Masse künstlerischen Empfindens im Leib hatte, und der ließ Anlagen um die Steinhäuser machen, pflanzte hübsch regelmäßig Tannen und Rhododendron an, auch blauen und weißen Flieder, und er stellte einige grün angestrichene Bänke auf. Er war sehr erbittert, als eine Zeitung schrieb, die Verschönerung des Platzes sie noch schlimmer als die Flaschenscherben und die Stullenpapiere, denn er hatte es gut gemeint.

Bild vergrößern: Ob der Briefträger, der mit seinem Fahrrad die Post gebracht hat, wohl auch gern einen kühlen Trunk wie die Herren am Tisch hätte?
Ob der Briefträger, der mit seinem Fahrrad die Post gebracht hat, wohl auch gern einen kühlen Trunk wie die Herren am Tisch hätte?

Die Steinhäuser waren mittlerweile so berühmt geworden, daß es das ganze Jahr über bei ihnen nicht an Stadtvolk fehlte. In allen Dörfern ringsumher waren Wegweiser angebracht, auf den zu lesen stand: „Nach den Steinhäusern“, und an den Birken an den Wegen und Landstraßen waren rote Kleckse angemalt, so daß kein Mensch an dem Urzeitsdenkmal vorbeifinden konnte. Wandervereine machten Ausflüge dahin, Gesangvereine erschienen und erfüllten die Luft mit Getöse. Damen in weißen Kleidern und Hüten von Überlebensgröße tauchten auf und fanden die fünf Denkmäler reizend und niedlich. Der Heimatbund feierte dort ein Heidfest, bei dem in Wort und Lied die Steinhäuser gefeiert wurden, und hinterher hatten drei Waldarbeiter drei Tage zu tun, um das Stullenpapier, die Eierschalen, Flaschenscherben und sonstigen Zeichen der echten, wahren und tiefen Heimatsliebe zu beseitigen.

Bild vergrößern: Familienidylle beim Besuch der "Waldwirtschaft".
Familienidylle beim Besuch der "Waldwirtschaft".

Unterdessen war der Heimatschutz erfunden worden. Eines Tages erschien das ausführende Komitee der Kommission des Ausschusses des Provinzialverbandes für Heimat- und Naturschutz. Drei Wochen später erhob sich neben dem Seelenhause der Peerhofsbauern auf einer Stange eine weißangestrichene viereckige Tafel von Quadratmetergröße, auf der laut und deutlich zu lesen stand: „Staatseigentum“, damit nicht ein argloser Wanderer auf den Gedanken käme, sich eine der zehn bis zwanzig Zentner schweren Deckplatten als Briefbeschwerer in die Tasche zu stecken. „Welcher Esel hat denn diesen Duffsinn angestellt?“ fragte Hingst, als er mit seinen Kindern und Kindeskindern wieder einmal in einer schönen Nacht zur Erde kam. „Hors,“ rief er seinem Sohne zu, „bring das dummerhaftige Ding beiseite!“ Der gab ihm eins mit den Steinhammer, daß die Brocken in der Nachbarschaft umherflogen. Das Kreisblatt brachte darauf einen bitterbösen Aufsatz über vandalisch hausende Touristen, und vierzehn Tage nachher war das ganze Grundstück mit Stacheldraht eingefriedigt und die Tafel wurde auch wieder erneuert.

Bild vergrößern: Vor seiner Hütte liegend, bewacht der Hund Gäste und Personal.
Vor seiner Hütte liegend, bewacht der Hund Gäste und Personal.

In dem benachbarten Marktflecken lebte ein Wirt namens Meyer; der hatte einen offenen Kopf. Er sah ein, daß mit den Steinhäusern etwas zu machen sei, und so ging er hin und kaufte alles Land um sie herum an, denn er wollte eine Wirtschaft bauen. Die Zeitungen schlugen zwar Lärm, als der Plan ruchbar wurde, aber Meyer hatte gute Verbindungen und ödete den Landrat zudem mit so viel Schreiberei, bis er die Erlaubnis bekam. So baute er denn ein Haus, das von Stammesbewußtsein, Heimatsliebe und Kirchturmpatriotismus nur so troff. Selbst auf dem Schweinestalle mangelten die gekreuzten Pferdeköpfe nicht, eine echte Heideeinrichtung war aus Berlin bezogen und über der Haustür prangte in großer Schrift der Spruch: „Solange noch die Eichen wachsen in alter Kraft um Hof und Haus, solange stirbt in Niedersachsen die alte Stammesart nicht aus.“ Zu Pfingsten wurde die Wirtschaft eröffnet. Dreizehn Gesangvereine, zwölf Turnvereine, elf Touristenvereine, zehn Kegelklubs, neun Skatklubs, acht Pfeifenklubs, sieben Radlervereine, sechs Fußballklubs, fünf Tennisgesellschaften, vier Volksschulen, drei Pensionate, zwei Sonderzüge und hundert Wagen und Autos spien ihren Inhalt über die Seelenhäuser aus. Die Begeisterung war ungeheuer, die Betrunkenheit desgleichen. Der Oberförster raufte sich die Glatze; sein gesamtes Rotwild war vor dem Getöse zehn Meilen weit ausgewechselt; acht Tage lang hatten die Waldarbeiter zu tun, um das Stullenpapier und die Flaschenscherben aufzusammeln. Aber es waren bloß sieben Heidbrände vorgekommen, und das tröstete den Oberförster etwas.

Bild vergrößern: Mit dieser Karte grüßten 1928 die Motorradfahrer Rolf und Anton einen Freund in Hamburg von ihrer Tour zu den Sieben Steinhäusern.
Mit dieser Karte grüßten 1928 die Motorradfahrer Rolf und Anton einen Freund in Hamburg von ihrer Tour zu den Sieben Steinhäusern.

Im nächsten Jahre baute der Wirt ein Kurhaus; im folgenden ein Luftbad; im dritten drückte er beim Kreisausschusse eine feste Straße nach den Steinhäusern durch; im nächsten Jahre hatte er fünfhundert Sommerfrischler; in sechsten stellte er einen Arzt an; im siebenten zwei Hilfsärzte; im achten hatte er eine Dependance, im neunten kaufte er dem Staate das Gelände, auf dem die Seelenhäuser lagen, ab; im zehnten stellte er sieben neue Ruhebänke und drei Pavillons bei ihnen auf; in elften zäunte er den Platz völlig ein.

Neben der Tür des Kurhauses und Hotelrestaurants zu den sieben Steinhäusern aber ließ er eine Tafel Aufstellen, und auf dieser war folgendes zu lesen: „Das Naturdenkmal befindet sich im Hofe; Schlüssel beim Portier.“

29.04.2025