Archivalie des Monats Juni 2025: Das Lied »Ma Normandie« begleitet die Partnerschaftsbegegnungen mit Périers
Seitdem 1989 die Städtepartnerschaft mit dem französischen Périers begründet wurde, vergeht keine Begegnung, ohne dass „Ma Normandie“ gesungen würde. Für die Prisiais hat dies Lied die gleiche Bedeutung wie für uns „Auf der Lüneburger Heide“. Komponiert hat das Lied Frédéric Bérat 1836.
Geboren wurde der Komponist und Lieddichter Frédéric Bérat am 11. März 1801 in Rouen, in dem sich heute die Präfektur der Region Normandie befindet. Eigentlich sollte er das väterliche Handelsgeschäft mit Leder und Öl fortführen, doch schon während der Schulzeit nahm er Klarinetten-Stunden. Während seiner Anstellung in Paris in der großen Textilhandlung Chevreux-Aubertot brachte er sich selbst das Klavierspielen bei. Beim Komponisten Charles-Henri Plantade (1764-1839) holte er sich Hinweise für die Kompositions- und Harmonielehre, so dass er bald schon im Freundeskreis selbst komponierte Chansons vortragen konnte. Er kündigte in der Textilhandlung und wurde Sänger, der bei seiner Karriere von dem seiner Zeit überaus populären Pierre-Jean de Béranger (1780-1857) unterstützt wurde. Bérat starb am 2. Dezember 1855 in Paris. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof Père-Lachaise.
Sein bekanntestes Lied „Ma Normandie“ soll er 1836 geschrieben haben, als er auf der Seine von Rouen nach Le Havre unterwegs war. Inspiriert wurde er von einer Arie aus der Oper „Athys“ von Jean-Baptiste Lully (1632-1687). „Ma Normandie“ wurde in die um 1853 erschienen Sammlung „Chansons, paroles et musique de Frédéric Bérat“ aufgenommen. Dort gehörte es zu den Liedern, denen eine Illustration beigegeben wurde. Das kann nicht erstaunen, denn „Ma Normandie“ war Bérats erfolgreichste Komposition, von der zu seiner Lebzeit eine Million Drucke verkauft wurden.
Quand tout renaît à l'espérance,
Et que l'hiver fuit loin de nous,
Sous le beau ciel de notre France,
Quand le soleil revient plus doux,
Quand la nature est reverdie,
Quand l'hirondelle est de retour,
J'aime à revoir ma Normandie,
C'est le pays qui m'a donné le jour.
J'ai vu les champs de l'Helvétie,
Et ses chalets et ses glaciers,
J'ai vu le ciel de l'Italie,
Et Venise et ses gondeliers.
En saluant chaque patrie,
Je me disais: „Aucun séjour
N'est plus beau que ma Normandie,
C'est le pays qui m'a donné le jour.“
Il est un âge dans la vie,
Où chaque rêve doit finir,
Un âge où l'âme recueillie
A besoin de se souvenir.
Lorsque ma muse refroidie
Vers le passé fera retour,
J'irai revoir ma Normandie,
C'est le pays qui m'a donné le jour.
Angesichts des großen Erfolgs in Frankreich kann es nicht verwundern, dass Hofmeisters die Neuerscheinungen verzeichnender „Musikalisch-literarischer Monatsbericht“ bereits im Juni 1838 eine bei Schott in Mainz als No. 335 erschienene Fassung der „Romance“ nachweist, der auch eine deutsche Übersetzung beigefügt ist. Die Übersetzung von M. G. Friedrich lautet:
Wenn vor des Lenzens Hoffnungsspuren
der rauhe Winter endlich weicht,
wenn über Frankreichs schöne Fluren
die Sonn‘ in neuem Glanz sich zeigt;
wenn freundlich Grün bedeckt die Auen,
die Schwalbe froh nun wiederkehrt,
möcht‘ meine Normandie ich schauen,
das Heimatland mir über Alles werth.
Helvetien habe ich durchzogen,
sah seiner Gletscher wilde Pracht;
ich sah Venedigs Kähne wogen,
den Himmel, der Italien lacht;
und ist’s auch schön in jenen Reichen,
es ist jedes wohl bewundernswerth;
doch muss der Normandie es weichen,
dem Heimatland mir über Alles werth.
Es giebt ein Alter in dem Leben,
wo jeder Traum sich end’gen muss,
wo, um die Seele froh zu heben,
Erinnerung nur beut Genuß;
Hat dann des Dichters Selbstvertrauen,
mein Liebessang auch aufgehört,
dann will die Normandie ich schauen,
mein Heimatland, mir über Alles werth.
Nur fünf Monate später konnte Hofmeisters „Musikalisch-literarischer Monatsbericht“ im November auf eine bei Chalier et Co. in Berlin verlegte Ausgabe aufmerksam machen, die allerdings nur die Melodie benutzte. Statt das Lied in der Normandie zu verorten, beschrieb die deutsche Übersetzung nun die „Sehnsucht nach den Bergen“. Diese Fassung wurde von J. H. Breitenbach 1865 in die zweite, stark vermehrte Ausgabe seiner „Sammlung leicht ausführbarer vierstimmiger Gesänge (geistlich und weltlich) für den gemischten Chor“ übernommen.
Sehnsucht nach den Bergen
Wenn Alles wieder sich belebet,
der Erde frisches Grün erblüht,
die Lerche sich zum Himmel hebet,
uns sendend ihr melodisch Lied,
so füllt mein Auge sich mit Thränen,
ergreift mich eine süße Qual,
so treibt mich ein unendlich Sehnen
zu meinen Bergen und dem stillen Thal.
Ich denke an der Kindheit Tage,
und um mich reiht sich Bild an Bild,
es schau‘n auf mich mit leiser Klage
die Eltern und die Freunde mild;
es füllt mein Auge sich mit Thränen,
mein Herz mit einer süßen Qual,
es treibt mich ein unendlich Sehnen
zu meinen Bergen und dem stillen Thal.
Leb‘ wohl, du Stadt, lebt wohl Paläste
Lebt wohl in eurer stolzen Pracht,
lebt wohl, ihr glanzgeschmückten Feste,
mich treibt des Heimwehs Zaubermacht.
Mein Auge füllet sich mit Thränen,
mein Herz mit einer süßen Qual,
es treibt mich ein unendlich Sehnen
zu meinen Bergen und dem stillen Thal.
Eine deutsche Übersetzung von „Ma Normandie“ findet sich 1909 in der von Adolf König, Karl Küffner und Karl Nüzel herausgegebenen Sammlung „Gute Geister. 4stimmige gemischte Chöre für Gymnasien, Realschulen, Lehrerbildungsanstalten“. Allerdings wurden nur die beiden ersten Strophen des Originals ins Deutsche übertragen:
Wenn Frühlingstage neu beleben
die starre Welt mit Hoffnungshauch,
des Sonnenstrahles Zauber weben
und neu begrünen Baum und Strauch,
und wenn die Schwalben wiederkehren,
von wo sie lang der Frost verbannt:
so drängt's mich auch, ich kanns nicht wehren
fort in die Normandie, mein Heimatland.
Das Schweizerland ging ich zu schauen
mit Kuppen, Gletschern, Hirtental,
Italiens Lüfte auch, die blauen,
Venedigs Gondeln im Kanal,
und doch, wie lang ich dort verweilet,
wie ich mich heimisch auch bekannt,
stets bin ich gern zurückgeeilet
fort in die Normandie, mein Heimatland.
Der Untertitel „für Gymnasien, Realschulen, Lehrerbildungsanstalten“ verweist auf die vielleicht wichtigste Verbreitungsquelle von „Ma Normandie“ in Deutschland: Nämlich über die Schulen. In viele Lehrwerke des Französischen und auch in Liedersammlungen für den Unterricht wurde es vor 1914 aufgenommen. Mit dem Singen und der Behandlung dieses Liedes konnte die Vorstellung der Region mit dem Erlernen der französischen Sprache verbunden werden.
„Ma Normandie“ erfüllt für die Prisiais die Funktion einer inoffiziellen „Nationalhymne“. Offizielle Regionalhymne war „Ma Normandie“ dagegen in Jersey, das ursprünglich Teil des Herzogtums Normandie (911-1259) war, in dem jahrhundertelang Französisch gesprochen wurde und dessen Regionalsprache Jèrriais eine Varietät der Normannischen Sprache ist.
When everything is reborn in hope
And winter flees far from us,
Over the beautiful sky of our France,
When the sun returns gentler,
When nature has turned green again,
When the swallow has returned,
I like to see again my Normandy,
It's the country where I was born.
I’ve seen the fields of Helvetia,
And its chalets and its glaciers,
I’ve seen the sky of Italy,
And Venice and its gondoliers.
Greeting each homeland,
I told myself that no stay
Is finer than my Normandy,
It's the country where I was born.
There comes a time of life,
When every dream must end,
A time when the restful soul
Needs to remember.
When my chilled muse
Makes its way back to the past,
I’ll go see again my Normandy,
It's the country where I was born.
Die Kanalinsel Jersey ist eine britische Kronkolonie. Da sich bei den Commonwealth Games, den Island Games und anderen internationalen Veranstaltungen die Gebiete, die sonst „God Save the King“ verwenden, unterscheiden müssen, machte sich Jersey durch „Ma Normandie“ kenntlich. Allerdings führte die Tatsache, dass sich das Lied auf Frankreich und nicht auf Jersey bezieht dazu, dass 2008 mit einem offenen Wettbewerb nach einer neuen Hymne gesucht wurde. Das 2002 komponiert Lied „Island Home“ trug dabei den Sieg davon. Aber erst 2015 wurde dann offiziell das schon Ende des 19. Jahrhunderts komponierte „Beautiful Jersey“ zur Hymne erklärt.
Nach 35 Jahren der Städtepartnerschaft mit Périers stimmen die Bad Fallingbosteler bei den Begegnungen selbst gern beim Gesang von „Ma Normandie“ ein. Denn durch die vielen gegenseitigen Besuche ist ihnen die Normandie mit ihrer wunderschönen Landschaft ans Herz gewachsen – vor allem natürlich durch die Freundinnen und Freunde in Périers. So drängt’s sie auch, sie könn‘s nicht wehren, fort zur Normandie… Umgekehrt ist natürlich auch den Prisiais mittlerweile „Auf der Lüneburger Heide“ sehr vertraut.
Aber hören Sie selbst, wie es klingt, wenn zum Abschluss einer Abendveranstaltung bei einer Parnterschaftsbegegnung gemeinsam "Ma Normandie" angestimmt wird.
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