Archivalie des Monats Dezember 2018: August Freudenthal über den Weinbau in der Lüneburger Heide
An Winterabenden stellt sich schnell Wohlbehagen ein, wenn man am prasselnden Kamin sitzt und ein Glas Wein zur Hand hat – stamme der edle Tropfen nun aus Deutschland, Frankreich, Italien oder den Weinanbaugebieten in der Neuen Welt. Aber Wein aus der Lüneburger Heide? Nur wenige Weinfreunde dürften wissen, dass auch in der Lüneburger Heide einst Wein angebaut wurde – woran heute allerdings nur noch Straßennamen wie „Am Weinberg“ erinnern. Einer der ersten, die sich mit dem Weinbau in der Lüneburger Heide beschäftigten, war August Freudenthal.
Der in Fallingbostel geborene Journalist und Schriftsteller August Freudenthal (1851-1898) war intensiv darum bemüht, über die Orte der Lüneburger Heide „eine Fülle geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Materials“ zu sammeln und zu veröffentlichen – so kündigte er es im Vorwort des 1890 erschienenen ersten Bandes seiner insgesamt vierbändigen „Heidefahrten“ an. Er wollte damit nicht nur für die Bewohner dieser Gegend einen „Beitrag zur Heimatskunde“ liefern, sondern auch „[…] der Heide, die jetzt mehr und mehr durch das Dampfroß den umliegenden größeren Städten nahegerückt wird, zu den zahlreichen alten noch recht viele neue Freunde erwerben!“
Um die Kulturgeschichte der Lüneburger Heide darstellen zu können, betrieb August Freudenthal intensive Studien in der Bremer Stadtbibliothek und in Archiven, er führte aber auch in den Heideorten viele Gespräche mit Pfarrern und Lehrern. So trug er auch das Material für seinen Aufsatz „Weinbau in der Lüneburger Heide“ zusammen. Er erschien 1893 in dem von ihm herausgegebenen Buch „Aus Niedersachsen“.
August Freudenthal
Weinbau in der Lüneburger Heide
Der freundliche Leser wird sicherlich diese Überschrift mit Kopfschütteln betrachten, und doch ist es eine Thatsache, daß in unserm deutschen Norden, speziell in den Landen zwischen Unterelbe und Unterweser, der Weinbau in alter Zeit in überraschendem Umfange verbreitet gewesen ist. Zeugen dafür sind noch heute die bei zahlreichen Ortschaften unserer Gegend befindlichen Hügel und Kämpe, welche die Namen „Weinberge“ oder „Weinbergskämpe“ führen. Allein unserm Volke ist die Kunde von der Weinkultur seiner Vorfahren derart abhanden gekommen, daß es hie und da sogar Sagen erfunden hat, welche die Namen jener Hügel nicht von den edlen Thränen der Rebe ableiten, sondern von Thränen, die dort wegen blutiger Ereignisse den Augen der Opfer oder in Stunden der Gefahr den Augen der Bedrängten entflossen sind. So soll z. B. vor der Entscheidungsschlacht der Hildesheimer Stiftsfehde beim Heranrücken der braunschweiger Herzöge mit ihrem Heere gegen die Stadt Soltau die weibliche Bevölkerung der Stadt „weinend“ auf den heute „Weinberg“ benannten Hügel hinausgezogen sein, um den Feind auf die originellste Weise von einer Plünderung und Zerstörung der Stadt abzuhalten, indem Frauen und Mädchen ihre selbstgefertigten blauen Beiderwandröcke über den Kopf zogen und nun im Schmuck dieser Kapuzenmäntel und ihrer roten Unterröcke dem braunschweigischen Heere als ein Vortrab des Heeres der Gegner, Heinrichs von Lüneburg und Bischof Johanns von Hildesheim, erschienen. Die Braunschweiger sollen dadurch veranlaßt worden sein, sich zurückzuziehen und weiter nordwärts von Soltau einen Übergang über die Böhme zu suchen, eine Verzögerung, welche ihre Vernichtung in der am folgenden Tage nordwärts von Soltau entschiedenen Schlacht am St. Peter und Paulstage 1591 zur Folge hatte. Der Weinberg soll damals von den Thränen der Weiber seinen Namen erhalten haben. Ähnliche Sagen zur Erklärung des Namens Weinberg finden wir auch an anderen Orten im Volksmunde aufbewahrt.
Nun kehrt aber in den Feldmarken zahlreicher Orte im Lüneburgischen der Name „Weinberg“ wieder, und da in vielen Fällen sich thatsächilch nachweisen läßt, daß dort wirklich Wein noch bis in die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts – oft auch noch später – gebaut wurde, so ist wohl der Schluß erlaubt, daß wir in den als Weinberge bezeichneten Hügeln und Abhängen wirkliche Weinberge aus alter Zeit vor uns haben. Heute freilich sehen diese teils kahlen, mit Heide bewachsenen Abhänge nicht mehr darnach aus, als könnte auf ihnen die edle Rebe gedeihen. Allein wir dürfen nicht vergessen, daß vor Jahrhunderten der landschaftliche Charakter unserer Gegend ein ganz anderer war, als heutzutage. Wo jetzt die braune Heide mit ihrem dichtverschlungenen Wurzelgeäst auf weiten Flächen den Erdboden wie mit einer Decke überspannt hat, sah man dazumal die herrlichsten Laub- und Nadelwälder, von denen sich hie und da in den Ortsnamen oder sonstigen Bezeichnungen die Kunde erhalten hat. Zur Zeit Ernst des Bekenners war das Herzogtum Lüneburg noch mit Recht ein waldreiches Land zu nennen. Damals krönten höchstwahrscheinlich die meisten jener kahlen Höhen Laub- und Nadelholzungen, welche das Klima milderten, die Südabhänge vor den verderblichen Nord- und Ostwinden schützten und gleichzeitig für die nötige Feuchtigkeit des Bodens sorgten, und so ermöglichten, daß die Rebe gedieh, wo heute nur noch Wachholder, Ginster und Heidekraut fortkommen.
Diese Ausführungen sind nicht leere Vermutungen, sie lassen sich vielmehr mit Thatsachen belegen. Aus verschiedenen Klosterchroniken wissen wir, daß noch im dreizehnten Jahrhundert bei fast allen Klöstern des alten Sachsenlandes und der Ostseeküste bis Memel hinauf Wein zum Keltern gebaut wurde. Die zumeist aus südlicheren Gegenden kommenden Klosterbrüder waren es, welche den schon von Kaiser Karl dem Großen*) stark protegierten edlen Weinbau einführten, um des kostbaren Trankes nicht zu entbehren, der damals aus anderen Gegenden natürlich sehr schwer zu beschaffen war. Von den Klöstern im Lüneburgischen hatten nachgewiesenermaßen Ebstorf, Medingen und Ülzen ihre Weinberge; das Kloster Wienhausen bei Celle, welches etwa in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gegründet wurde, verrät schon durch seinen Namen, daß seine Gründer auf eine für den Weinbau ihnen günstig erscheinende Lage Rücksicht genommen haben. Vom Kloster St. Michalis zu Lüneburg wird berichtet, daß dasselbe seine Weinberge am Kalkberge und bei Reppenstedt gehabt habe. Interessant wäre es, wenn auch bezüglich der Klöster Lüne und Ramelsloh, sowie bezüglich der im Bremischen belegenen Klöster Osterholz, Harsefeld etc. der gleiche Nachweis zu führen wäre. Daß die Mönche des St. Paulsklosters vor Bremen auf ihren Grundstücken am Paulsberge vor dem Osterthore Wein bauten, ist urkundlich nachgewiesen.
Von den Klosterbrüdern scheinen die Bewohner der Städte und kleineren Ortschaften den Weinbau erlernt und dann selbständig betrieben zu haben. Die angesehenen Bürger von Ülzen und Celle hatten später in der Nähe der Stadt ihre Weinberge. Die Bürger Lüneburgs bauten Wein am Kriet- (Kreide-) und Zeltberge nordwärts von der Stadt, wo der Name der Ortschaft Wienebüttel noch an Wein erinnert. Im Böhmethal kehrt auf der kleinen Strecke von etwa vier Stunden, soweit mir bekannt, der Name „Weinberg“ dreimal wieder, bei Soltau, wie schon oben erwähnt, bei Fallingbostel und bei dem dazwischen im Böhmethale liegenden Gute Wense. Auf den Ursprung des Weinbergs zur Wense werden wir weiter unten noch zurückkommen.
Das Gewächs, welches die sächsischen Klosterinsassen sich selbst herangezogen, war naturgemäß weder Niersteiner, noch Rüdesheimer oder Liebfrauenmilch.**) Es wird vielmehr jener Sorte ähnlich gewesen sein, welche die tapferen Deutschordensritter bei ihrer ostpreußischen Feste Marienburg bauten und kelterten, und welche einem fürstlichen Gesandten, der – bei welcher Gelegenheit, ist mir entfallen – auf der Marienburg zu Gaste war, ein solches Kopf- und Bauchgrimmen verursachte, daß er, ohne seine diplomatische Mission beendet zu haben, schleunigst die Heimreise antreten mußte. Auf eine derartige Qualität der norddeutschen Landweine können wir schon deshalb schießen, weil wir finden, daß bereits im 14. Jahrhundert, als Handel und Verkehr sich bedeutend gehoben hatten, die Mönche den Weinbau allgemach einstellten und lieber den Vorrat ihrer Kellereien vom Rhein und von der Mosel oder aus anderen gesegneten Weingegenden bezogen. So brachte schon im 13. Jahrhundert das Kloster Corvey mehrere Weinberge an der Mosel durch Kauf an sich und trieb einen schwunghaften Weinhandel mit nördlicher gelegenen Klöstern, die nicht so glücklich waren, eigene Weinberge zu besitzen. Letzteren wird jedenfalls ein frommer Weinreisender in der Mönchskutte – „die Flasche hängt neben dem heiligen Brevier“, singt Bruder Tuck – stets ein willkommener Gast gewesen sein. Die Mönche des Klosters Walkenried am Harz scheinen dem „Bocksbeutel“, recte „Steinwein“, den Vorzug vor den Rhein- und Moselweinen gegeben zu haben; sie besaßen in Würzburg eine eigene „Kellnerei“ und verschiedene Weinberge in der Nähe der Stadt.
Zu unserm eigentlichen Thema zurückkehrend, finden wir, daß die lüneburgischen Klöster infolge der günstig veränderten Bezugsbedingungen bei Beginn der Reformation den Weinbau bereits sämmtlich eingestellt hatten, während er hie und da, gepflegt von den Bewohnern städtischer Gemeinwesen oder adeligen Grundbesitzern, noch in voller Blüte stand. Der edle Herzog Ernst der Bekenner, der Reformator seines Lüneburger Landes auf religiösem und wirtschaftlichem Gebiet, scheint nach verschiedenen Anzeichen zu schließen, sich auch der Pflege des heimischen Weinbaues angenommen zu haben. Wenigstens finden wir, daß unter seinem Kanzler Forster der Weinbau auf den herzoglichen Gütern sich besonderer Obacht erfreute. In den Hausbüchern und Lohnlisten finden wir, daß zahlreiche „Weinhacker“ zu den bezahlten Arbeitern gehörten. Nach einer Urkunde von 1535, einem Besoldungsdekret des Kanzlers Forster, bezog dieser außer seinen sonstigen Einkünften auch ein jährliches Deputat von zwei Fässern Lüneburger „Landtweins“. Dem lutherischen Prediger zu Winsen an der Aller, Roffsack, gestattete Herzog Ernst im Jahre 1541, „einen Weinberg vor unserer Stadt Ultzen bei dem Gudesdore“ anzulegen, wo sich, wie aus derselben Urkunde hervorgeht, die Weinberge vieler angesehener Bürger befanden.
Nach dem Tode Herzog Ernsts wurde für seine minderjährigen Söhne eine Regentschaft ernannt, zu deren Mitgliedern auch der frühere Hofmarschall und spätere Großvoigt Georg von der Wense gehörte, dessen Stammgut eben jenes bereits erwähnte Gut Wense im Böhmethal war. Georg von der Wense besaß viele Lehnshöfe in den jetzigen Kreisen Fallingbostel und Soltau und war mit dem Hause Rotenburg belehnt, infolgedessen war sein Einfluß auch bei den Städtern und Fleckensbewohnern jener Gegend ein bedeutender. Der Großvoigt war ein großer Freund und Förderer des heimischen Weinbaues. Ein im Wenser Holz belegener, noch heute den Namen „Weinberg“ führender größerer Hügel legt Zeugnis dafür ab, derselbe wird etwas 50 Jahre später im Hausbuche seines Enkels noch als „meines Großvaters alter Weinberg“ bezeichnet. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß Georg von der Wense auch die Anregung zu der Anlage von Weinbergen bei den Nachbarorten Fallingbostel und Soltau gegeben hat, wenn die alte Probstei der Curtis salta (Soltau) nicht etwa schon in früheren Jahrhunderten dem Weinbau obgelegen hat. Der alte Großvoigt lebt noch heute im Volksmunde der dortigen Gegend, namentlich des Kirchspiels Dorfmark fort, und zwar als Besitzer unermeßlicher Reichtümer. Seine Schätze hat er auf dem „Weinberg“ vergraben und in massiv goldener Rüstung ist er bestattet. Die letzter Sage ist die Veranlassung gewesen, daß vor etwa 40 Jahren von Dieben der Versuch gemacht wurde, sein Grabgewölbe vor dem Altar der Kirche zu Dorfmark zu erbrechen. Da der Versuch an der Stärke des Gewölbes scheiterte, so erbrachen die Diebe den Armenblock und beraubten ihn seines Inhalts.
In der Reformationszeit und dem folgenden Jahrhundert der Glaubenskriege verschwinden allmählich die Spuren der Weinkultur im Lüneburgischen. Die beklagenswerte allgemeine Waldverwüstung wird nicht wenig dazu beigetragen haben. Am längsten in den lüneburgischen Landen hielt sich der Weinbau in Hitzacker, dem ehemals wendischen Liantzji. Dort besaßen die früheren wolfenbüttelschen, später lüneburgischen Herzöge ein Schloß, zu dessen Grundstücken auch ein Weinberg gehörte, ein Hügel, auf welchem nach dem Bericht des alten Topographen Merian, trotz des nördlichen Klimas „ein ziemlicher wein wuchs.“ Auch einen Burgkeller für die Aufbewahrung ihrer selbstgekelterten Weine besaßen die Herzöge dort. Noch unter der Regierung des Herzogs Georg Wilhelm von Celle, des Vaters der unglücklichen Prinzessin Sophia Dorothea, wurde in Hitzacker Wein gekeltert und davon an der herzoglichen Tafel getrunken. Im Jahre 1713 aber verwüstete ein starker Sturm die Weinkämpe bei Hitzacker, und da schon einige Jahre der Ertrag ein ungünstiger gewesen war, so ließ man jetzt auch den dortigen Weinbau eingehen.
Von einer späteren ernstlichen Weinkultur im Lüneburgischen habe ich keine Spur auffinden können. Als Spalierpflanze an den Wänden seiner Gebäude zieht allerdings der Lüneburger in Stadt und Dorf mit Vorliebe seinen Weinstock, und nicht selten findet man an alten Häusern Stöcke, die, nach ihrer Stärke zu rechnen, mindestens schon einige Lustra hinter sich haben. Es ist indeß nicht zu bestreiten, daß diese Sitte in Mitteldeutschland noch weit häufiger verbreitet ist.
Anmerkungen:
*) In dem berühmten Capitulare de villis imperialibus, der Verordnung Karls über die Bewirtschaftung der Kammergüter, heißt es u. a.: „Es sollen unsere Amtleute unsere Weinberge übernehmen, welche in ihrem Bezirke liegen, sie gut besorgen und den Wein selbst in gute Gefäße thun und sorgfältig darauf achten, daß er in keinerlei Weise Schaden erleide. Auch sollen sie von anderen Leuten Wein kaufen, um damit die königlichen Pfalzen zu versorgen. Und sollte von jenem Weine mehr gekauft worden sein, als für unsere Pfalzen nötig ist, so soll uns Bericht erstattet werden, damit wir, was damit geschehen soll, befehlen. Von unsern Weinbergen sollen sie uns für unsere Tafel Wein senden. Der Wein, der von unsern Gütern als Zins gegeben wird, soll in unsere Keller geschickt werden etc.“
**) Bekanntlich wußten unsere Vorfahren den Wein durch Zusatz von Süßigkeiten und fremdländischen Würzen, Muskat, Zimmet etc., genießbar zu machen. Auch das Verschneiden der sauren Weine mit süßen südländischen Weinen war ein allgemein bekannter Gebrauch.
aus: August Freudenthal (Hrsg.): Aus Niedersachsen. Schilderungen, Erzählungen, Sagen und Dichtungen. Ein Volksbuch für Alt und Jung. Bremen 1893, S. 358-363.
August Freudenthal war mit diesen Ausführungen, wie Fritz Pape in seiner Untersuchung „Der Weinbau im ehemaligen Fürstentum Lüneburg (Celle 1989) feststellte, „[…] einer der ersten von denen, die in heimatkundlichen Beiträgen über ehemaligen Weinbau in jeweils enger oder weiter gefassten Gebieten Nordwestdeutschland berichtet haben.“ (S. 91) Pape bedauert allerdings, dass in Freudenthals Aufsatz Quellenangaben gänzlich fehlen, so dass neben verwertbaren Hinweisen solche stünden, die nicht nachprüfbar seien oder auf offensichtlich falschen Annahmen beruhten.“ Für einen Beitrag, der sich wie die meisten kulturgeschichtlichen Arbeiten August Freudenthals an ein breites Publikum wandte, geht die Forderung eines wissenschaftlichen Anmerkungsapparats aber wohl zu weit. Gleichwohl merkt man dem Text an, dass August Freudenthal ein intensives Studium von – zum Teil vordem noch nicht genutzten – Quellen betrieben hat, bei dem er sich durchaus kritisch mit den Quellen, Sagen und mündlichen Überlieferungen auseinandersetzte. Wie dem auch sei, auf August Freudenthals Aufsatz nahmen viele andere Autoren Bezug. Bei seiner umfassenden Sichtung der Literatur stieß Pape jedenfalls immer wieder auf Autoren, die später dasselbe Thema behandelten und dabei die entsprechenden Textstellen oft wörtlich wiederholten.
Pape differenziert in seiner akribischen Studie zwischen „Standorten“, „vermutlichen Standorten“ und „angeblichen Standorten“ des Weinbaus in der Lüneburger Heide. Für alle drei Kategorien nennt Pape mit Wense, Fallingbostel und Dorfmark u. a. auch Orte aus der Stadt oder ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.
Als „Standort des Weinbaus“ wird Wense angeführt (S. 55-57). Zurück geht dies auf Georg (Jürgen) von der Wense (1496-1572), der bis zum Großvogt der Zentralverwaltung des Fürstentums Lüneburg aufstieg. Er befasste sich auch mit dem Weinbau. Pape schreibt durchaus in Anlehnung an August Freudenthals Darstellung: „Ein im Wenser Holz liegender Hügel, der noch heute den Namen ‚Wein-Berg‘ führt, wird im Hausbuch seines Enkels Wilhelm ausdrücklich als ‚meines Großvaters alter Weinberg‘ bezeichnet. Der Weinanbau war hier zu dieser Zeit (etwa um 1600) also schon aufgegeben worden. Auch wenn für Wense weitere schriftliche Quellen fehlen, so ist es doch wahrscheinlich, dass ein hoher herzoglicher Beamter mit größerem Landbesitz, wie Georg von der Wense, den Weinbau der Landesherren nachahmte. Er soll sogar ein großer Freund und Förderer des heimischen Weinbaus gewesen sein. […] Einer lokalen Sage nach soll der alte Großvogt, Besitzer unermesslicher Reichtümer, seine Schätze auf dem ‚Weinberg‘ vergaben und dort in massiv goldener Rüstung bestattet sein.“ In ihrem Familienwappen führten die von der Wense sogar eine Weinrebe. Nach Pape sei es jedoch ungewiss, ob dies auf den ehemaligen Weinbau in Wense zurückgeht oder aufgrund der falschen Deutung des Namens in der gebräuchlichen Schreibweise „Weynsen“ oder „Wynsen“ ihren Platz im Wappenschild fand.
Fallingbostel rechnet Pape zu den „vermutlichen Standorten“ des Weinbaus (S. 73f.), ist doch an jener Stelle, in der heute südlich vom Bahnhof, oberhalb der Bahntrasse am Nordhang eines Hügels die Straße „Am Weinberg“ verläuft, in der Kurhannoverschen Landesaufnahme vom Ende des 18. Jahrhunderts die Flurbezeichnung „Weinberg“ eingetragen. Mündlich ist auch der Name „Wienbarg“ überliefert. Nicht belegen lässt sich die Vermutung, Georg von der Wense könne die Anlegung eines Weinbergs in Fallingbostel angeregt haben. Der erste Fallingbosteler Ortschronist Wilhelm Westermann (1881-1974) vertrat sogar die Meinung, der „Wienberg“ habe nichts mit Wein zu tun. Er leitete „wien“ stattdessen von „wih“ = Heiligtum her, so dass der Flurname „irgendwie“, so Westermann, mit „weihen“, „geweiht“ zu deuten wäre. Pape referiert diese Auslegung kommentarlos, obwohl auffällig ist, dass Westermann auch bei anderen Flurnamen gern „germanisiert“, indem er auf die Frühlingsgottheit Ostara oder Wodans Raben verweist, und so heute nicht mehr haltbare Deutungen vertritt.
Dorfmark erkennt Pape lediglich den Status eines „angeblichen Standortes“ des Weinbaus zu (S. 93). Zwar war der Heimatforscher Ernst Reinstorf (1868-1960) der Ansicht, dass dort, wie ehemals auch bei anderen „fürstlichen sowie adeligen Sitzen und Klöstern“ im Gebiet zwischen Aller und Elbe, Wein gebaut worden sei, doch belegen ließ sich dies nicht. Es fehlen sowohl schriftliche Nachweise wie auch Erwähnungen in Flurnamensammlungen und Eintragungen in historischen Karten. Nur in der Urkarte der Gemarkung Westendorf stieß Pape auf den Flurnamen „Auf dem Berge“. Dies mag erstaunen, hatte doch Georg von der Wense, der Freund und Förderer des heimischen Weinbaus, im Jahr 1559 in Dorfmark einen freien Hof erworben.
Heute übrigens erlebt der Weinbau in der Lüneburger Heide eine Renaissance. Zu den Folgen des Klimawandels zählt nämlich auch, dass sich die Bedingungen für den Weinbau in Norddeutschland verbessert haben. So wird laut einer Aufstellung des Deutschen Weininstituts in der Stadt Göttingen, in der Region Hannover sowie in den Landkreisen Göttingen, Lüneburg, Oldenburg, Schaumburg, Friesland, Osnabrück und Ammerland auf allerdings zumeist kleinen Flächen Wein angebaut. Nachdem eine Gesetzesänderung im Jahr 2016 den gewerblichen Anbau erlaubte, wurden 2018 im Landkreis Lüneburg in Thomasburg am Rande des Naturparks Elbufer-Drawehn auf einer Fläche von 1,4 ha 2.500 Rebstöcke gepflanzt. Allerdings müssen die Rebstöcke erst wachsen, bevor dann voraussichtlich 2024 der erste Wein aus dem Landkreis Lüneburg in den Handel kommt.