Archivalie des Monats August 2015: Bahnhofseinweihung in Jettebruch 1896
Mag der seit 1981 als Haltestelle für Personenzüge aufgehobene Bahnhof in Jettebruch auch der kleinste im heutigen Stadtgebiet gewesen sein, die Einweihung der Bahnstrecke von Walsrode über Fallingbostel nach Soltau wurde am 30. September 1896 dort jedoch sehr aufwändig gestaltet. Der Bericht der Walsroder Zeitung in ihrer Ausgabe von 2. Oktober 1896 berichtet jedenfalls von einer Feier, bei der man an den sprichwörtlichen „Großen Bahnhof“ denken muss.
In Jettebruch angelangt, woselbst unter Leitung des Herrn Lehrers Becker die Schulkinder ebenfalls sangen, begrüßte Herr Administrator Ahrens den Oberpräsidenten [Rudolf von Bennigsen] und hielt dabei etwa folgende Rede:
„Gestatten Ew. Excellenz, daß ich im Namen der hier versammelten Gemeinden den unterthänigsten Dank ausspreche für das Wohlwollen und die Energie, mit der Ew. Excellenz diesen Bau gefördert haben. Wir danken der Königl. Staatsregierung, daß sie der Bitte der Gesammtbevölkerung entsprach und einem Zeitalter Rechnung trug, einem Zeitalter der Humboldt und der Liebig, worin ein Gauß rechnete, ein Goethe dichtete und worin es gilt, die Concurrenz zu bestehen mit der ganzen Welt! Seitdem die riesenhaft gewachsenen Transportmittel es möglich machen, daß heute im Westen verzehrt wird, was gestern im Osten geerntet wurde und auf diese Weise die Preise aller Länder ausgeglichen sind, gilt es vor Allem, wohlfeil zu produciren und marktfähig zu bleiben. Und wer sich diesem Ringen und Streben nach Vollendung entgegenstemmen wollte, der würde rückwärts schreiten, der würde untergehen.
Dieses Werk wird einen Merkstein in der Geschichte des Kreises Fallingbostel bilden und Handel und Industrie neu beleben. Prangt der Kreis auch nicht in der Fülle der Naturgaben, welche nur die wärmeren Länder des Südens darbieten, so ist er doch nicht ohne landschaftliche Reize und mit reichen Hülfsmittel auch für die noch kommenden Geschlechter ausgestattet; wo die Natur kärglich gegeben, da spornte sie den Menschen an, muthig mit ihr um den Erwerb zu ringen!
Wir danken der Königl. Staatsregierung, daß sie uns wohlwollend in diesem Kampfe zur Seite gestanden; wir danken allen, die diesen Bau gefördert und geleitet haben.
Wenn so Regierung und Volk gemeinsam nach einem Ziele streben, kann sich nur der Wohlstand mehren, die Liebe zu der ererbten Scholle zunehmen, da sie Mühe und Fleiß dankbar vergütet; der Drang nach Auswanderung schwindet, da sich die Arbeit im Vaterlande lohnend bezahlt macht und Jeder unter dem Schutze weiser Gesetze die Früchte seines Fleißes genießen darf. Die Grundpfeiler eines solchen Staats sind eingebaut in die Herzen der Unterthanen, die nicht weichen noch wanken in den Zeiten des Sturmes und der Gefahr!“
Sodann declamirte ein kleines Mädchen, die Tochter des Lehrers Becker, ein plattdeutsches Gedicht, welches vorzüglich vorgetragen wurde und große Heiterkeit erregte. Dieses Gedicht, auf welches Se. Excellenz ebenfalls in plattdeutscher Sprache erwiderte lassen wir nachstehend folgen:
De Fahrt na de Isenbahn
Hans har sien Frau Antje all lang verspraken,
Se wolln tohopen mal’n Lustour maken,
Wenn dat Weer schön wör
Un nix to dohn vör Wagen un Peer.
Denn wo ehr Fründschap, wo Klas Ohm wahn,
Dor güng jüst vöröber de Isenbahn;
Da wör all lang so väl Snackens von ween,
Nu wolln se doch sülwst den Spectakel mal sehn. –
As se dat Aet’n to Liewe slahn,
Da güng et denn los na de Isenbahn.
Hans mit’n meerschumem Pipenkopp;
Da wör he ümmer so grothorig op,
Dor bummeln twee Quasten an hen un her,
Von sülwern Beslag wör de Kopp rein swer.
Klas harrn Räg’nschirm ünnern Arm,
Denn dat Weer was brüttig warm,
Un an‘n Hewen in allen Ecken
Schien en Bullerweer optotrecken.
Erst besegen se Stück for Stück
De Schienen un ok den Bahnhof sick;
Dor stünnen se justement so vör
As de Koh vör de golden Dör.
Up enmal piep dat dörch de Luft un schrill, –
Antje stünn rein de Athen still.
Kum wör dat grusige Piepen vörbi,
Da kem dar – hest du, so süst du mi! –
En swartfarwig Ungethüm angesust,
Dat em de Damp ut de Nüstern brust.
Un sukesuk sukesuk achter em an
Rönn en unendlich Wagengespann;
Ganz ahn Kutscher un ahn Peer
Lepen se achter dat Ungethüm her.
Frielich de Kutscher stünn vörn up Spit,
Aber ken Leit un ken Pietsch har he mit;
Un wat dat Drulligste dorbi wör:
Dat de Wagen doch richtig spör.
Up enmal staht se’en Betjen still,
As wenn sick de Swarte verpusten will;
Un antosehn als Mieremilkenhupen
Kummt dat herut ut de Dören krupen,
Grote un Lütje, un Dicke un Dünn‘
Klattert se ut un klattert se in
Un twischenin is’n Rönnen un Jagen,
Ward dor mit Bündels un Kuffers dragen,
Un de Damens, so smuck as en Brut,
Kiekt mit de Köpp ut de Fenstern herut.
Da keem dor ‘n Keerl mit’n Bart anne Reeg,
Klatter von Wagen to Wagen un schreeg:
„Fünf Minuten!“ Wat dat bedü
Weet de Henker, ick weet dat nie! –
Up enmal wör dat wedder en Gerönn,
Se lepen, as wenn de Kopp se brenn.
En, twe, dree – as’n Snierlus
Tröcken de Damens de Köpp to Hus.
Pu, wat dat Ungethüm wedder dampt!
De ganze Wagenreeg swinkt un wankt,
Un ehr sick Hans Ohm noch recht besunn,
Sust de Swarte all wedder davun.
Antje word swimelich to Mod,
Se sä: “Ick beswör hier, dütt is min Dod!”
Hans Ohm wüß sülwst nich recht, wo he wör,
De meerschumen Pipenkopp leg an de Eer.
„Hal de Kuckuck den ganzen Kram!
Bewahr mi Gott vör de Isenbahn!
Ne, dar löw ick min beiden Peer;
Dütt hier, dat geiht mi nich richtig her!“
Mit der Bemerkung: „Der Zug setzte sich dann wieder in Bewegung…“ wird die Darstellung der Einweihungsfeierlichkeiten des Bahnhofs in Jettebruch abgeschlossen. Aufgesagt wurde von der Lehrerstochter übrigens eine stark gekürzte Fassung des gut 350 Zeilen langen Gedicht „De Fahrt na de Isenbahn“ von Sophie Dethleffs (1809-1864), das lange schon bekannt war, bevor es 1850 in einem schleswig-holsteinischen Volkskalender erschien. Im Internet kann der Nachdruck im Jahrbuch des Alstervereins, 19. Jg. 1931-1932, S. 35-42, eingesehen und als PDF-Dokument heruntergeladen werden.
Der Eisenbahn haben Adolf Domeier und Georg Allermann in ihrer Chronik „1337-1985 – 650 Jahre Geschichte der Bauernschaften Fuhrhop, Jettebruch, Mengebostel“ ein eigenes Kapitel gewidmet (Mengebostel 1987, Bd. 1, S. 234-250).
Mit der Geschichte des Baus der Eisenbahnstrecke Walsrode-Fallingbostel-Dorfmark-Soltau beschäftigt sich auch die Archivalie des Monats Januar 2014. Dort wird auch ein Vortragstext von Wolfgang Brandes bereitgestellt.