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Archivalie des Monats Februar 2016: „Der Niedersachse" – ein 1889/90 von den Brüdern Freudenthal herausgegebenes Sonntagsblatt

Die in Fallingbostel geborenen Brüder August (1851-1898) und Friedrich Freudenthal (1849-1929) haben sich nicht nur mit ihrem literarischen Werk, sondern auch als Journalisten und Zeitschriftenherausgeber Namen gemacht. Die von ihnen ab 1895 im Bremer Schünemann-Verlag herausgegebene Halbmonatsschrift „Niedersachsen" gilt als eines der wichtigsten Organe der Heimatbewegung. Jahrzehntelang war sie sogar Organ des Niedersächsischen Heimatbundes. Auch heute noch erscheint „Niedersachsen", wenn auch in modifizierter Form. Während auf die Halbmonatsschrift „Niedersachsen" in zahlreichen Publikationen eingegangen wurde, geriet in Vergessenheit, dass die Brüder Freudenthal schon sechs Jahre zuvor bei Leonhard Mundschenk, dem Verleger der „Böhme-Zeitung", unter dem Titel „Der Niedersachse" ein Sonntagsblatt für „Stadt und Land zwischen Elbe, Weser und Aller" veröffentlicht hatten.

In einer „Probenummer", die im Frühherbst 1889 zur Werbung von möglichst vielen Abonnenten gratis verteilt wurde, erläuterten Herausgeber und Verleger des Sonntagsblatts „Der Niedersachse" ihr Vorhaben in einem „An den freundlichen Leser in Stadt und Land" gerichteten Aufruf. In Abgrenzung zu „der seichten und verflachenden Lesewaare, wie sie in den zu Hundertausenden in Berlin, Stuttgart und anderen Städten fabrikmäßig hergestellten illustrirten Sonntagsbeilagen der Provinz- und Kreisblätter im deutschen Reiche geboten wird", wollten sie „dem Volke unserer engeren Heimath einen gediegenen, gleichzeitig belehrenden und unterhaltenden volksthümlichen Lesestoff bringen". Als „echtes Kind seines Landes" sollte „Der Niedersachse" Land, Volksleben und Geschichte der engeren Heimat gewidmet sein. „Wir gedenken zu bringen geschichtliche Aufsätze, belehrende Artikel über Gesundheitspflege, über Aufzucht und Pflege unserer Hausthiere, über Feld- und Gartenbau, Erläuterungen der für den Bürger und Landwirth wichtigen Gesetze, ferner unter dem Abschnitt ‚Gemeinnütziges‘ allerlei erprobte Vorschriften und Rathschläge, und dergleichen mehr." Da neben dem Belehrenden und Gemeinnützigen die Unterhaltung und Pflege des Schönen nicht zu kurz kommen sollte, wurde angekündigt, großen Wert auf gute Erzählungen zu legen. „Auch schöne, volksverständliche Dichtungen, an denen Herz und Gemüth sich in ernsten und heiteren Stunden zu erquicken vermögen, sollen dem Leser übermittelt werden." Ein besonderes Augenmerk galt der Pflege des Plattdeutschen.

Im Oktober 1889 erschien die erste Ausgabe des Sonntagsblatt „Der Niedersachse" am Uelzener Verlagssitz von Leonhard Mundschenk. Mit Unterstützung einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren gelang es eindrucksvoll, das in der Probenummer formulierte Programm umzusetzen. Allerdings erwies es sich als schwierig, die erforderliche Anzahl von Abonnenten zu werben. So führten wirtschaftliche Gründe bereits ein halbes Jahr nach der ersten Ausgabe zur Einstellung des Sonntagsblatts. Doch das Konzept erwies sich als tragfähig genug, um mit wenigen Veränderungen für die Halbmonatsschrift „Niedersachsen" übernommen zu werden, die August und Friedrich Freudenthal von Oktober 1895 an im Bremer Schünemann-Verlag herausbrachten. Bald schon nahm „Niedersachsen" eine herausragende Rolle in der Heimatbewegung ein, die in der Besinnung auf den Heimatgedanken einen Gegenpol gegen Modernisierung, Industrialisierung und Proletarisierung sah.

Die Halbmonatsschrift „Niedersachsen" wurde zu einem der wichtigsten Organe der niedersächsischen Heimatbewegung. Aus diesem Grund wurde ihr in vielen Untersuchungen und Veröffentlichungen zur Heimatbewegung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dies war auch deshalb möglich, weil in den großen Bibliotheken die Ausgaben problemlos zur Verfügung standen. Dass die Halbmonatsschrift „Niedersachsen" jedoch einen Vorgänger, nämlich das Sonntagsblatt „Der Niedersachse" hatte, wurde dagegen kaum gewürdigt. Grund dafür war, dass die Zeitschrift nicht in Bibliotheken zugänglich war. Für seine Dissertation über Friedrich Freudenthal konnte zwar Jörg Schilling auf das Exemplar des Mundschenk-Verlages zurückgreifen, doch auffindbar ist es jetzt nicht mehr – ein in Bibliotheken und Archiven durchaus des Öfteren auftretender Fall, wenn bei der Rückgabe ein Objekt falsch eingeordnet wurde und dann erst mehr oder weniger lange Zeit später zufällig wieder entdeckt wird.

Groß war deshalb die Freude, als bei Internetrecherchen festgestellt wurde, dass das Institut für Niederdeutsche Sprache in Bremen (INS) über ein Exemplar des Sonntagsblatts „Der Niedersachse" verfügte. Durch einen glücklichen Zufall konnte zudem in einem Aachener Antiquariat ein fast komplettes zweites Quartal erworben werden. Nun konnte endlich an eine Faksimile-Ausgabe gedacht werden. Seit kurzem liegt nun der 286 Seiten starke Band vor. Neben dem Reprint aller 1889/1890 erschienenen Ausgaben enthält er auch noch ein in die Geschichte der Zeitung einführendes Vorwort, Fortsetzungen jener Texte, die bei der Einstellung der Zeitung nicht abgeschlossen waren, sowie ein Inhalts- und ein Autorenverzeichnis.

Somit können sich an Regionalgeschichte, aber auch an der Entwicklung der niedersächsischen Heimatbewegung Interessierte wieder aus erster Hand selbst über ein folgenreiches Projekt informieren. Die niveauvollen hoch- und plattdeutschen Texte, die fundierten geschichtlichen Darstellungen und die detailreichen volkskundlichen Aufsätze haben auch nach mehr als 125 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Der von Wolfgang Brandes, Heinrich Kröger und Arnulf Struck in der Mundschenk Druck- und Vertriebsgesellschaft GmbH & Co. KG, Soltau, herausgegebene Reprint ist zum Preis von 19,90 € im Buchhandel erhältlich.

Probenummer des Sonntagsblatts "Der Niedersachse"