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Archivalie des Monats Juli 2016: Allgemeiner Anzeiger und Zeitung a. d. Aller u. Böhme vom 19. September 1888

Wir sind es gewohnt, an jedem Werktag von der Zeitung mit Neuigkeiten aus der Region und der Welt versorgt zu werden. Am Samstag erwartet uns eine besonders umfangreiche Ausgabe mit reichlich Lesestoff für das Wochenende. Vor 125 Jahren waren Zeitungen noch nicht derart üppig ausgestattet. Der „Allgemeine Anzeiger und Zeitung a. d. Aller u. Böhme – Kreisblatt für den Kreis Fallingbostel" erschien nur drei Mal wöchentlich.

Am 7. Februar 1866 war die erste Ausgabe des von Wilhelm Abendroth verlegten „Walsroder Wochenblatts" erschienen, das sich als „Anzeiger für Stadt u. Land im Böhme- und Aller-Bezirke" bezeichnete. Zwei Mal wöchentlich kam die Zeitung heraus, die am 1. Juni 1867 von Johannes Gronemann erworben wurde. Ab dem 20. September 1881 trug die Zeitung dann den Namen „Allgemeiner Anzeiger und Zeitung a. d. Aller u. Böhme", bevor als Titel vom 4. September 1891 an die noch heute gebräuchliche Bezeichnung „Walsroder Zeitung" gewählt wurde.

Allgemeiner Anzeiger und Zeitung a. d. Aller u. Böhme - Ausgabe vom 19. September 1888



Der „Allgemeine Anzeiger und Zeitung a. d. Aller u. Böhme" erschien drei Mal wöchentlich jeweils am Montag-, Mittwoch- und Freitagabend. Als Beilagen wurden ein „Illustrirtes Unterhaltungsblatt" und die „Landwirtschaftliche und Handelsbeilage" mitgeliefert. Der Umfang der Zeitungen war in jenen Jahren weitaus geringer, als er uns heute vertraut ist. Die am Mittwoch, dem 19. September 1888, erschienene No. 111 des 23. Jahrgangs umfasst lediglich vier Seiten. Illustrationen finden sich im redaktionellen Teil überhaupt nicht. Sie werden lediglich im bescheidenen Umfang im Anzeigenteil verwendet. Zwar war 1883 das erste Foto in einer deutschen Zeitung erschienen, aber das dafür erforderliche Verfahren war zu aufwendig und kostspielig, als dass es von einer Lokalzeitung hätte genutzt werden können.

Als „Kreisblatt für den Kreis Fallingbostel" veröffentlichte der „Allgemeine Anzeiger" die amtlichen Bekanntmachungen. Dies bescherte ihm nicht nur sichere Anzeigeneinnahmen, sondern auch verstärktes Interesse in der Leserschaft, die auf diese Weise alles von offizieller Seite für wichtig Befundene erfuhr. Dem Charakter eines Kreisblatts entsprechend, beginnt die Rubrik „Amtliches" gleich in der ersten Spalte des „Allgemeinen Anzeigers". Die Informationen über die Aufstellung der Urwählerlisten macht deutlich, wie eingeschränkt seinerzeit das Wahlrecht war: Es stand nur „selbständigen Personen männlichen Geschlechts" zu. Es sollte noch dreißig Jahre dauern, bis sich im Artikel 109, Absatz 2 der Weimarer Verfassung der Satz findet: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben Rechten und Pflichten." Somit wurde die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung vom 19. Januar 1919 die erste, an der Frauen aktiv und passiv teilnehmen konnten. Das Wahlalter betrug 1888 24 Jahre – heute wird über eine Absenkung auf 14 Jahre diskutiert. Wer 1888 wählen wollte, durfte keine Armen-Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erhalten. Auf heutige Verhältnisse übertragen würde dies bedeuten, dass Hartz-IV-Empfänger nicht wählen dürften. Und auch die „Klassen- und klassificirte Einkommensteuer" war für das Wahlrecht ausschlaggebend, denn die Wähler besaßen ein nach Steuerleistung in drei Abteilungen („Klassen") abgestuftes Stimmengewicht.

In der sich anschließenden Rubrik „Rundschau" finden sich eine ganze Reihe von Meldungen und Berichten, die aus anderen Zeitungen übernommen wurden. Besonders interessant ist die ausführliche Wiedergabe eines, wie es heißt, „höchst merkwürdigen Artikels", den die Brüsseler „Indépendance Belge" veröffentlich hatte und der dann von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" abgedruckt worden war, auf die wiederum der „Allgemeine Anzeiger" zurückgreift. Es wird dort auf das Verhältnis des altgedienten 73-jährigen Reichskanzlers Otto von Bismarck zu dem 29 Jahre alten, gerade erst am 15. Juni 1888 zum Kaiser gewordenen Wilhelm II. eingegangen. Die belgische Zeitung vermutet, dass Bismarck „für einen so jungen Fürsten ein Rathgeber von unbequemem Alter" sei. Fast prophetisch klingt der Satz: „Früher oder später wird Herr von Bismarck sich darin finden müssen, daß er nicht mehr selbst regiert, und er wird sich damit begnügen müssen, auf die Geschäfte eine analoge Oberaufsicht zu üben, wie diejenige war, welche der Feldmarschall Graf Moltke in den Militärangelegenheiten geübt hat." Da ein Sich-Begnügen-Müssen nicht zu Bismarcks Wesensart passte und sich andererseits Wilhelm II. nicht „bevormunden" lassen wollte, musste Bismarck 1890 zurücktreten. Der Lotse ging von Bord.

Erst danach folgt die Rubrik „Provinzielles", in der sich nur zwei Meldungen aus Walsrode und eine aus Fallingbostel finden. Der größte Teil dieser Rubrik wird mit Berichten aus anderen Orten der preußischen Provinz Hannover bestritten. Während für die Leser der „Walsroder Zeitung" heute gerade der ausführliche Lokalteil und die Berichterstattung über lokale Sportereignisse zum bevorzugten Lesestoff gehören, musste sich der Leser vor 125 Jahren mit Kurznotizen begründen. Selbst ein Ereignis wie die „Feier des 50jährigen Bestehens der hiesigen Sparkasse", die in Fallingbostel begangen wurde – das Quintus-Denkmal und die Sparkassenräume waren „würdig mit Kränzen und Guirlanden geschmückt" – wird in lediglich 21 Zeilen abgehandelt.

Der redaktionelle Teil wird mit einem Fortsetzungsroman bzw. der in Fortsetzungen gedruckten Novelle „Trug-Gold" von H. von Ziegler abgeschlossen.

Damals wie heute ein wichtiger Grund, eine Zeitung zu abonnieren, war und ist der Anzeigenteil. Ein Drittel der Ausgabe wird in der No. 111 von ihm bestritten. Auch wenn 125 Jahre verstrichen sind, es macht immer noch Spaß, die bunte Mischung aus Verkaufsangeboten für verschiedene Möbel oder gar die ganze riechersche Anbaustelle in Fallingbostel, für Probsteier Saatroggen oder Jagd-Munition oder die Werbung für Natur-Weine und das „Photogr. Atelier Gr. Gronemann" in Walsrode bis hin zu Ankündigungen wie jener des Einzinger „Erntefests und Fleischverschießens" und Todesanzeigen zu durchstöbern.

Zum Schluss noch ein Literaturhinweis: Wichtige Hinweise zur Zeitungsgeschichte unserer Region finden sich in Peter Steins Handbuch „Die nordostniedersächsische Tagespresse. Von den Anfängen bis 1945", das 1994 als Band 6 der „Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden e. V." erschienen ist. Als Zeitungsorte werden auch Dorfmark, Fallingbostel, Schneverdingen, Soltau und Walsrode vorgestellt.

Im Klappentext des Buches erläutert Peter Stein: „Mit dem Handbuch Nordostniedersächsische Tagespresse (im Kern das Gebiet des Regierungsbezirkes Lüneburg) liegt erstmalig eine umfassende historische Darstellung des Druck-und Pressewesens einer großen niedersächsischen Teilregion vor. Damit wird ein bislang vernachlässigtes Medium lokaler Öffentlichkeit erschlossen, das einen beachtlichen historischen Quellenwert besitzt – der zudem nicht nur für die Lokal- und Heimatforschung, sondern auch für die Erforschung der überregionalen Kommunikationsgeschichte von Bedeutung ist. Die am Beispiel der vorwiegend ländlichen Region Nordostniedersachsen gewonnenen Erkenntnisse über Formen und Funktionsweise der sogenannten „Provinzpresse" (die zumeist gegenüber der „großen Presse" weniger Beachtung fand, obwohl die Reichweite dieses zwischen 1850 und 1950 wichtigsten Massenmediums erheblich größer war) dürften in vielen Punkten verallgemeinerbar sein. Das Spektrum der Problemstellungen reicht vom behördlich gesteuerten Amtsblattwesen im Vormärz über die Konstituierung lokaler Tageszeitungen in der Schlussphase des Königreichs Hannover bis zum Aufstieg der Lokalpresse als ‚Heimatpresse‘ im Kaiserreich und bis zu ihrer Krise in der ausgehenden Weimarer Republik bzw. der NS-Diktatur.

Gestützt auf die genaue pressebibliographische Erfassung der 346 Tageszeitungen, die zwischen 1810 und 1945 in Nordostniedersachsen existiert haben, stellt das Handbuch 52 einzelne Zeitungs- und Verlagsorte (von Achim bis Zeven) mit ihren Presseorganen vor. Da die lokale Zeitungsgeschichte stets eng mit der Ortsgeschichte verknüpft ist, kommt zugleich ein facettenreiches Bild der Region zur Darstellung. Das akribische Aufspüren der zerstreuten Quellen vor Ort, die Sichtung und Analyse des umfangreichen Materials führten dabei zur Aufklärung bisher unbekannter Daten und Zusammenhänge sowie zu vielen Korrekturen am überlieferten Bild der lokalen Presse."