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Datum: 28.06.2023

Archivalie des Monats Juli 2023: Streit um das Bierbrauen der Fallingbosteler

Der Bierverlag Heuer, der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Quintusstraße ansässig war, braute selbst nicht mehr, aber er versorgte die örtlichen Gastwirtschaften und Hotels mit dem Gerstensaft. Gerade wenn sich Vereine trafen, wurde § 11 befolgt. Er war den Bier-Comments von Studentenverbindungen entlehnt, in denen er in sehr deftiger Form „Es wird fortgesoffen!“, „Es wird weitergesoffen!“ oder lateinisch „porro bibitur!“ befahl. Bier wurde aber nicht nur im geselligen Rahmen getrunken. In den Zeiten, als Wasser aus Flüssen, Bächen oder eigenen Brunnen getrunken wurde, war das hygienisch unbedenklichere Bier ein Grundnahrungsmittel. Dass es in Fallingbostel gebraut wurde, erzürnte allerdings die Stadt Walsrode. Dieter Brosius hat den „Bierkrieg“ zwischen beiden Orten in seinen „Betrachtungen zur älteren Geschichte Fallingbostels“ anlässlich der 1000-Jahr-Feier 1993 dargestellt:

Bild vergrößern: Der Bierverlag Heuer in der Quintusstraße belieferte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Gastwirtschaften, Pensionen und Hotels mit Gerstensaft.
Der Bierverlag Heuer in der Quintusstraße belieferte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Gastwirtschaften, Pensionen und Hotels mit Gerstensaft.

Ein Stein des Anstoßes war für die Stadt Walsrode, dass in Fallingbostel seit alters her Bier gebraut wurde, nicht nur für den Eigenbedarf, sondern auch zum öffentli­chen Verkauf. Das war ein Verstoß gegen das städtische Brau­monopol. Etwa 1600 führte das Walsroder Braueramt darüber Klage beim Amtsvogt. Der ermittelte, dass es in Fallingbo­stel fünf solcher Brauer gab, unter ihnen auch sein Unter­gebener, der Amtsschreiber Lente. Die Celler Regierung, die vom Amtsvogt angerufen wurde, schlug einen Kompromiss vor: Die Herstellung von Braunbier und von Malz könne man nicht verbieten, wenn es sich dabei um eine althergebrachte Ge­wohnheit handele. Das Brauen von Broyhan, dem am meisten ge­trunkenen hellen Bier, wollte sie jedoch auf zwei Brauer je Dorf beschränken, die jeweils nur vier Wispel Gerste verar­beiten sollten. Doch dagegen protestierten nun die übrigen ländlichen Brauer und beriefen sich auf ihr gutes altes Recht, auch wenn dieses an keiner Stelle verbrieft war. Es kam zu einem jahrelangen Prozess, der aber letztlich nichts am bisherigen Zustand änderte. Noch U. F. C. Manecke stellt in seiner historisch-statistischen Beschreibung der Amtsvogtei um 1800 fest, dass das Bierbrauen und das Brot­backen zum feilen Verkauf anerkanntermaßen zu den Nebenge­schäften der Einwohner in den drei Kirchdörfern Falling­bostel, Düshorn und Dorfmark gehörte.

Die Regierung scheint das wohlwollend geduldet zu haben; im­merhin zahlten die Fallingbosteler Brauer, wie aus einer Eingabe von 1661 hervorgeht, jährlich 16 Reichstaler Bier­akzise, und auch damals schon verzichtete der Staat nur un­gern auf eine solche Einnahmequelle. Das Bier galt ja in der älteren Zeit nicht als ein Genussmittel, sondern als ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Darum waren auch die Herstel­lung und der Vertrieb von besonderer Bedeutung; alte Rechte wurden zäh verteidigt, und neu aufkommende Konkurrenz wurde erbittert bekämpft. 1653 wurde erstmalig ein Förster in Fal­lingbostel eingesetzt; bis dahin hatte stets einer der Kötner, dem dafür Schatz- und Dienstfreiheit gewährt wurde, das Amt des Holzvogts versehen (zuletzt der 1650 genannte Dietrich Deneke). Zur Vergütung des Försters gehörte das Recht, akzisefrei Rotbier zu brauen. Das rief die Einwoh­ner des Dorfes auf den Plan. 1661 beschwerten sie sich in Celle über den Förster Hans Kayser, weil er sein selbstge­brautes Bier auch zum Verkauf feilhalte. Er brauche dafür keine Akzise zu entrichten und habe auch das Brennholz für den Braukessel frei, das sie kaufen müssten, und das sei ein nicht hinzunehmender Wettbewerbsvorteil. Ihrer Bitte, dem Förster das Brauen zu verbieten, wurde aber nicht stattge­geben.

Bild vergrößern: Der Hartungsche Krug war einer der ältesten am Ort. Später hieß er Schönigs Gasthaus und wurde dann zum Fallingbosteler Hof ausgebaut.
Der Hartungsche Krug war einer der ältesten am Ort. Später hieß er Schönigs Gasthaus und wurde dann zum Fallingbosteler Hof ausgebaut.

1687 wird erstmals auch ein Krüger, also ein professionel­ler Gastwirt, in Fallingbostel erwähnt. Eine landesherr­liche Konzession, wie sie zum Betrieb eines Kruges auf dem flachen Land erforderlich war, besaß er nicht. Um diesen un­gesetzlichen Zustand zu beenden, bot er dem Amtsvogt zusam­men mit seinen Berufskollegen in Dorfmark, Düshorn, Osten­holz und Westenholz an, für seine Krugnahrung jährlich 20 Reichstaler an das Amt zu zahlen. Ob der Amtsvogt darauf einging, wissen wir nicht. 1747 jedenfalls konnte auch der Krüger Hans Heinrich Hartung in Fallingbostel keine Konzes­sion vorweisen. Er erklärte auf Befragen, er schenke schon seit etwa 20 Jahren Bier aus und habe vorher schon durchreisende Fuhrleute beherbergt und für sie dann krugweise Bier geholt. Zwei Jahre später machte der Celler Großvogt dem konzessionslosen Zustand dann ein Ende und ordnete an, dass der Krug in Fallingbostel, wie die Wirtschaften in verschie­denen anderen Dörfern auch, gegen Meistgebot verpachtet wer­den sollte.

Beim Bierbrauen hatte sich ein eigentlich ungesetzlicher Zu­stand durch langjährigen Gebrauch allmählich in ein Gewohn­heitsrecht verwandelt.

Bild vergrößern: Auch diese Gruppe folgt dem Gebot des § 11 und trinkt weiter vor Hartungs Gastwirtschaft ihr Bier.
Auch diese Gruppe folgt dem Gebot des § 11 und trinkt weiter vor Hartungs Gastwirtschaft ihr Bier.

Soweit die Darstellung von Dieter Brosius in seinem Vortrag, dessen gesamten Text als PDF-Dokument bei der „Archivalie des Monats November 2018“ heruntergeladen werden kann.  Im Anschluss an den von Brosius geschilderten Zeitraum kam es 1753 zu einer weiteren langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzung gegen die „Landbrauer“. In seinem Buch „Was alte Urkunden aus unserer engeren Heimat erzählen“ gibt Hans Stuhlmacher einen Auszug aus den Prozessakten, in dem auch auf die Abhängigkeit der Bauern eingegangen wird:

Die Bauersleute, welche gegenwärtig keinen Fueß breit Landes veräußern und keinen Baum ohne Einwilligung der Eigentums- und Gutsherrn fällen dürfen, zu geschweigen, daß sie auf den Land-Tägen zu der allergeringsten Kommunikation gezogen werden sollten und welche dergestalt, daß sie sowohl als Frau und Kinder namentlich benannt mit den Ackern verkaufet worden, nicht eigenes gehabt, auch sich nichts als Lebensunterhalt erwerben konnten; diejenigen Hausleute sage ich, welche nicht den geringsten Sonnenstäubchen zu den landschaftlichen Kommunikationen legen können, wollen sich anmaßen von einem unfürdenklichen Recht zu reden, zumal schon zu der Zeit des Kaisers Henrici Aucupis (I.) [das ist Kaiser Heinrich I., genannt auch der Vogler, reg. 919-936] das Bierbrauen zu einer städtischen Nahrung gewidmet und geordnet. Die Dörfer 62 haben vor alters denen Städten das Bierbrauen zum feilen Kaufe nicht gegönnet, da sie nämlich über eine Meile Weges das Bier von den Städten, oder wenn die Dörfer mit vielen Einwohnern versehen gewesen, nicht holen wollen. Andere Dörfer maßeten sich an Bier zu gewissen Festtagen zu brauen, so das Pfingst- oder Erntebier; die vom Adel standen ihren Dorfseinwohnern zu den freien Haustrunk auf dem Hof, oder die Bauern wollten das Kesselbier zu brauen sich ermächtigen. Diesem Unwesen haben sich die Städte tapfer nach Henrici Aucupis Verordnung widersetzet, die vom Adel haben den Städten entgegen ihre Villicos [Gutsverwalter] zusammenberufen und es dahin gebracht, daß sie denen Städten gleich zusammen bauen müssen, welches sie nicht mehr einen Weiler, sondern ein Dorf genannt, daher die Rechte der Städte, welche älter denn die Dörfer, vorzüglich syn. Das Recht der Städte bezüglich des Brauens stammt schon aus dem Jahr 925 da sich der neunte Mann von den Dörfern in die Städte zu begeben hatte. Die Kirchdörfer haben die Vergünstigung bekommen, etwas Bier zur Notdurft der Kirchleute zu brauen. So haben denn die zu Düshorn, Dorfmark und Fallingbostel durch vieles Lamentieren, die nach der Verordnung von 1576 befohlene gänzliche Abschaffung des Brauens und Mälzens, erreicht der Kirchleute wegen und weil sie weit von Celle abgelegen, daß 2 in jedem Kirchdorfe des Jahres 4 Mispel Malz verbrauen dürfen, das Malz von andern Orten holen und das Brauen mit gekauftem Holze verrichten sollten.

Stuhlmacher stellt fest, dass danach den Kirchdörfern eine beschränkte Braugerechtigkeit blieb. In Walsrode hatte jeder Bürger die Braugerechtigkeit, diese wurde alle 6 Jahre neu durch den Landesherrn bestätigt. Bemerkenswert findet es Stuhlmacher, dass auch die „Prinzessin von Ahlden“ am 9. Mai 1721 den Walsroder Bürgern die Braugerechtigkeit bestätigte. Der Anfang der Urkunde lautet:

Wir Sophia Dorothea von Gottes Gnaden, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg uhrkunden und bekennen hiermit, daß wir auf der sämtlichen Brauer zu Walßrode und auf der Vorbrück daselbst unterthänigstes Ansuchen die hirbevor ihnen ertheilte Conzeßion zum Brovhanbrauen wiederum auf 6 Jahre, nemblich von Ostern 1720 biß dahin 1723 gnädigst extendiert haben [vermutlich Transkriptionsfehler, denn das wäre nur ein Zeitraum von drei Jahren] .

Gegeben auf unserem Hause Ahlden, den 9. May 1721.